OECD veröffentlicht Leitlinien zu Verrechnungspreis-Implikationen der COVID-19 Pandemie
Die lang erwarteten OECD-Leitlinien zu den Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf Verrechnungspreise („COVID-LL“) wurden am 18. Dezember 2020 veröffentlicht.
Die COVID-LL sollen die Anwendung der bestehenden OECD-Verrechnungspreisleitlinien (”OECD-LL“) auf durch die COVID-19 Pandemie beeinflusste konzerninterne Transaktionen veranschaulichen bzw auch vereinheitlichen. Insbesondere soll eine praxisrelevante Orientierungshilfe für Themenbereiche gegeben werden, bei denen sich die Anwendung der bestehenden Verrechnungspreisregelungen als schwierig erweisen kann.
Die COVID-LL der OECD konzentrieren sich dabei auf folgende vier Themenbereiche:
- Vergleichbarkeitsanalyse
- Verluste und Zuweisung von COVID-19 spezifischen Kosten
- Staatliche Hilfsprogramme
- Advance Pricing Arrangements
Als Maßstab, an dem konzerninterne Geschäftsbeziehungen auch in Zeiten der COVID-19 Pandemie zu messen sind, dient weiterhin der Fremdvergleichsgrundsatz.
Vergleichbarkeitsanalyse
Angesichts des Ausmaßes der Auswirkungen der COVID-19 Pandemie ist nach den COVID-LL ein möglicher Einfluss auf die Geschäftsbeziehungen zwischen nahestehenden Personen und die zu Grunde liegende Vergleichbarkeitsanalyse zu prüfen. Da die Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf die wirtschaftlich relevanten Merkmale der konzerninternen Transaktion stark variieren können, muss die Analyse einzelfallspezifisch erfolgen. Dabei ist es nach den COVID-LL wichtig, alle Änderungen der wirtschaftlich relevanten Merkmale zu berücksichtigen. Dies umfasst auch relevante Vertragsbedingungen und eine Analyse, ob nicht nahestehende Personen unter den gegebenen Umständen versucht hätten diese Bedingungen neu zu verhandeln.
Die OECD stellt auch fest, dass historische Daten nur eingeschränkt als Vergleichsmaßstab zur Bestimmung fremdüblicher Verrechnungspreise in der COVID-19 Krise herangezogen werden können. Gleichzeitig lehnt die OECD eine pauschale bzw undifferenzierte Schlussfolgerung aus der Finanzkrise 2008/2009 auf eine Vergleichbarkeitsanalyse konzerninterner Transaktionen während der COVID-19 Krise ab.
Vielmehr sollen aktuell verfügbare Quellen und Verfahren im Rahmen einer Vergleichbarkeitsanalyse Anwendung finden. Als Quellen nennt die OECD insbesondere Unternehmenskennzahlen wie Umsatz und Auslastung, aber auch makroökonomische Größen oder Industrie-Indikatoren. Als Methoden werden statistische Verfahren genannt, wie zB die Regressionsanalyse, mit denen sich Zusammenhänge zwischen einzelnen Indikatoren und bestimmten Kennziffern quantifizieren lassen.
Auch können aktuelle Daten zu internen Vergleichswerten – Transaktionen, an denen (einer der) Steuerpflichtigen und ein fremder Dritter beteiligt sind – als mögliche Referenz für die Verwendung bei der Preisgestaltung von Transaktionen zwischen verbundenen Unternehmen herangezogen werden.
Im Hinblick auf Datenbankstudien empfiehlt die OECD zum einen, nationalen Unterschieden der COVID-19 Pandemie mehr Augenmerk zu schenken. Zum anderen wird darauf hingewiesen, dass Verlustunternehmen nicht allein aufgrund ihrer Verlustsituation aus Datenbankstudien ausgeschlossen werden sollen.
Weiters empfiehlt die OECD die Verwendung von Budgetdaten zur Verprobung von Verrechnungspreisen in der COVID-19 Pandemie. Insbesondere soll bestimmt werden, welchen Gewinn die Transaktionspartner ohne die COVID-19 Pandemie erzielt hätten, um dann auf Grundlage historischer Daten die Fremdüblichkeit der budgetierten Gewinne zu verproben. Falls zusätzliche Informationen verfügbar werden, sollten Steuerzahler jedoch ihre bestehende Analyse aktualisieren um die Fremdüblichkeit weiter zu untermauern.
Die COVID-LL schlagen auch vor, das Problem fehlender Vergleichsdaten mit einer auf einen späteren Zeitpunkt verschobenen Preisanpassung zu lösen. Die OECD anerkennen allerdings, dass eine Preisanpassung aufgrund von praktischen Problemen (zB Zoll- und umsatzsteuerliche Implikationen) nicht immer möglich sein wird.
Verluste und die Zuweisung von COVID-19 spezifischen Kosten
Während der COVID-19 Pandemie erlitten (und erleiden) viele multinationale Konzerne Verluste. Die Ursachen hierfür sind vielfältig und reichen von Nachfragerückgang, Problemen in der Beschaffung bzw Lieferung von Produkten oder Dienstleistungen bis hin zu außergewöhnlichen, nicht wiederkehrenden Kosten.
Die OECD betont, dass die Tragung von Verlusten im Einklang mit der (bestehenden) Zuordnung von Risiken stehen muss. Die OECD-LL zur Analyse von Risiken sind auch für die Bestimmung, wie COVID-19 bedingte Verluste zwischen verbundenen Parteien zugewiesen werden, relevant. Im Einklang mit den OECD-LL sind die vertraglichen Vereinbarungen der Ausgangspunkt für eine Analyse der Zuordnung der Risiken. Dh die vertragliche Aufteilung der Risiken zwischen den Parteien können einen wesentlichen Einfluss darauf haben, wie Gewinne oder Verluste, die aus der Geschäftsbeziehung resultieren, fremdüblich aufgeteilt werden.
Nach den COVID-LL besteht durch die COVID-19 Pandemie auch die Möglichkeit konzerninterne Vereinbarungen zu widerrufen bzw neu zu verhandeln, insbesondere unter Berufung auf Vertragsklauseln zur höheren Gewalt. Dies kann sich auf die Verteilung von COVID-19 spezifischen Kosten bzw daraus resultierenden Verlusten zwischen verbundenen Unternehmen auswirken. Im Fall von Vertragsänderungen haben beide Vertragspartner ihre realistischerweise zur Verfügung stehenden Optionen zu prüfen und jegliche Änderungen sorgfältig im Lichte von realistisch verfügbaren Optionen und des Fremdvergleichsgrundsatzes zu dokumentieren.
Die OECD anerkennt, dass auch „Unternehmen mit eingeschränkten Risiken (“Limited Risk”) Verluste erleiden können. Es sind jedoch die besonderen Umstände jedes Einzelfalls abzuwägen, um feststellen zu können, ob eine Gesellschaft mit begrenztem Risikoprofil kurzfristig Verluste erleiden kann. Beispielsweise könnte eine „Limited Risk“-Gesellschaft, die Marktrisiken trägt, einen Verlust erleiden, wenn durch einen Nachfragerückgang die erzielten Umsätze die lokalen Fixkosten der Gesellschaft nicht mehr decken.
Verrechnungspreise und staatliche Hilfsprogrammen
Viele Länder haben zur Milderung der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie Unternehmen umfassende Hilfsprogramme, wie beispielsweise Programme zur Erhaltung von Arbeitsplätzen (zB Kurzarbeit) oder andere Finanz- und Liquiditätshilfen (zB Kreditbürgschaften und Stundungen) bereitgestellt. Auch diese können Auswirkungen auf Verrechnungspreise haben. Die OECD befasst sich daher in ihren COVID-LL mit den Auswirkungen dieser staatlichen Hilfsprogramme für Verrechnungspreiszwecke.
Gemäß den COVID-LL müssen Steuerzahler die Auswirkung von staatlichen Hilfsprogrammen in ihrer Analyse und Dokumentation berücksichtigen, da die Verfügbarkeit, die Dauer und die Inanspruchnahme dieser Programme potenziell Auswirkungen auf die Verrechnungspreise haben. Dies unabhängig davon, ob die staatliche Unterstützung an ein Mitglied eines multinationalen Konzerns gewährt wird oder an unabhängige Parteien auf dem Markt, auf dem ein multinationaler Konzern tätig ist (und somit potenziell vergleichbare Geschäftsbeziehungen zwischen fremden Dritten beeinflusst).
Bei der Bestimmung der potenziellen Auswirkung von staatlicher Unterstützung sind laut OECD die wirtschaftlich relevanten Merkmale der Transaktion heranzuziehen. Hierbei sollen gemäß den COVID-LL u.a Verfügbarkeit, Zweck, Dauer und andere Bedingungen für die Gewährung staatlicher Hilfen ebenso berücksichtigt werden, wie die Aufteilung der wirtschaftlich bedeutsamen Risiken.
Beispielsweise sollte im Rahmen der Verrechnungspreisanalyse untersucht werden, ob der Erhalt staatlicher Unterstützung dem Empfänger einen Marktvorteil verschafft. Auch das Ausmaß, zu dem Vorteile der staatlichen Hilfsprogramme an unabhängige Kunden oder Lieferanten weitergegeben werden, beeinflusst die Verrechnungspreisanalyse.
Gleichzeitig erkennen die COVID-LL jedoch auch an, dass angesichts der verschiedenen Arten von Hilfsprogrammen und der verzögerten Verfügbarkeit von Daten es schwierig sein kann, detaillierte und verlässliche Informationen über die Art der von potenziellen Vergleichsunternehmen erhaltenen staatlichen Unterstützung zu erhalten.
Bei der Verwendung von einseitigen Verrechnungspreismethoden ist nach Ansicht der OECD besonders darauf zu achten, dass kein „mechanischer Ansatz“ gewählt wird (zB Saldierung von staatlichen Unterstützungen mit der relevanten Kostenbasis), da dies leicht zu nicht fremdüblichen Verrechnungspreisen führen kann.
Advance Pricing Arrangements (“APAs”)
Im letzten Kapitel analysieren die COVID-LL mögliche Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf bestehende APAs. Angesichts der Situation ist es laut OECD wichtig zu analysieren, ob und falls ja, inwieweit sich die veränderten wirtschaftlichen Bedingungen auf die Anwendung bestehender APAs auswirken.
Grundsätzlich haben bestehende APAs und die jeweiligen vereinbarten Bedingungen weiterhin Bestand – es sei denn eine Bedingung, die zur Aufhebung, Widerruf oder Revision des APAs führt (sog. “Critical Assumption”), ist eingetreten. Da sich die COVID-19 Pandemie unterschiedlich auf Industrien und Unternehmen auswirkt, sollte eine mögliche Verletzung der Bedingungen individuell von Fall zu Fall untersucht werden.
Wenn die Gültigkeitsbedingungen eines APA verletzt werden, ist es wichtig, dass Steuerpflichtige transparent vorgehen und die zuständige Finanzverwaltung zeitnah über Änderungen in Kenntnis setzen. Weiters sollen relevante Belege und Informationen gesammelt und der Finanzverwaltung zeitnah zur Verfügung gestellt werden.
Auch wenn derzeit erhebliche wirtschaftlichen Unsicherheit besteht, betont die OECD gleichzeitig die wichtige Rolle der APAs bei der Gewährleistung von Rechtssicherheit für Steuerpflichtige und regt an APAs weiterhin zu initiieren bzw fortzusetzen. Dabei ermutigt die OECD alle Parteien in Bezug auf APAs einen kooperativen und flexiblen Ansatz zu verfolgen. Ein Vorschlag der OECD ist beispielsweise, ein APA nur für einen kurzen Zeitraum zu vereinbaren, der die COVID-19 Pandemie umfasst, und ein separates APA für die Zeit nach der COVID-19 Pandemie abzuschließen.
Wichtigste Erkenntnisse
Die COVID-19 Pandemie hat für viele Unternehmen erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen mit sich gebracht. Die OECD hat in den COVID-LL wichtige verrechnungspreisspezifische Fragestellungen in Bezug auf die Vergleichbarkeitsanalyse, den Umgang mit Verlusten, die Aufteilung von durch COVID-19 verursachte Kosten, die Berücksichtigung staatlicher Hilfsprogramme sowie APAs diskutiert.
Da nach den COVID-LL auf eine einzelfallbezogene Betrachtung abzustellen ist, ergeben sich für Konzernunternehmen umfangreiche Analyse- und Dokumentationserfordernisse.
Steuerpflichtige, deren Verrechnungspreise durch die COVID-19 Pandemie beeinflusst sind, sollten daher bei einer potentiellen Anpassung der Verrechnungspreise bzw bei der Erstellung der Verrechnungspreisdokumentation jedenfalls auch die in den COVID-LL angeführten zusätzlichen Analysen bzgl Vergleichbarkeitsanalysen, Zuweisung von Verlusten und COVID-19 spezifischen Kosten sowie staatlichen Hilfsprogrammen vornehmen und entsprechend sorgfältig dokumentieren. Bei bestehenden APAs, die durch die COVID-19 Pandemie beeinflusst sind, sollten Steuerpflichtige zeitnah den Dialog mit den zuständigen Finanzverwaltungen suchen.
Autoren: Sebastian Röhrl, Sandra Staudacher, Marianna Dozsa
