Steuerliche Bewertung von langfristigen Rückstellungen

Das Abgabenänderungsgesetz 2014 hat eine neue Abzinsung für langfristige Rückstellungen gebracht. Die Übergangsvorschriften, die Neuerungen und die damit im Zusammenhang stehenden unternehmerischen Entscheidungen und Dokumentationserfordernisse haben wir in diesem Newsletter für Sie zusammengefasst.

Bisher waren langfristige Rückstellungen pauschal mit dem 80%igen Teilwert der Rückstellungsnominale (steuerlicher Rückstellungsbetrag) anzusetzen. Durch das Abgabenänderungsgesetz 2014 (AbgÄG 2014) hat sich nichts an der Definition der Langfristigkeit geändert: Eine Rückstellung ist langfristig, wenn die Laufzeit der Rückstellung am Bilanzstichtag mehr als 12 Monate beträgt. Das AbgÄG 2014 bringt jedoch für die Bewertung von langfristigen Rückstellungen im Jahresabschluss 2014 Neuerungen.

Bildung und Bewertung von Rückstellungen mit AbgÄG 2014

Die neue Abzinsungsregelung mit 3,5 % für langfristige Rückstellungen gilt erstmals für Rückstellungen, deren Anlassfall für die Bildung der Rückstellung in Wirtschaftsjahren liegt, die nach dem 30. Juni 2014 enden. Steuerlich ist daher die langfristige Rückstellung nicht mehr mit dem pauschalen 80%igen Teilwert anzusetzen. Für den Ansatz der Rückstellung sind nunmehr die folgenden Überlegungen anzustellen:

  • Wann ist mit meiner tatsächlichen Leistungsverpflichtung/Inanspruchnahme zu rechnen? Die Schätzung sollte so genau wie möglich sein, gegen eine jährliche Schätzung (und sohin jährliche Abzinsung) dürften aber keine Bedenken seitens des Finanzamts bestehen.
  • Welcher Betrag erscheint im Zeitpunkt der tatsächlichen Leistungsverpflichtung objektiv richtig (künftiger Erfüllungsbetrag)? Dabei sind auch Kostensteigerungen, sofern diese objektiviert sind (Indizes, Inflationsrate, andere objektive Hinweise auf eine Kostensteigerung), zu berücksichtigen.
  • Dieser künftige Erfüllungsbetrag ist über die Laufzeit der Rückstellung mit 3,5 % abzuzinsen, um den steuerlichen Ansatz der Rückstellung zu ermitteln.

Dies wird vor allem bei besonders langen (vor allem bei mehr 6,5 Jahre) (Voll-)Rückstellungen eine schwierige Beurteilung. Im konkreten Fall ist bei solch langen Rückstellungen zu überlegen, ob anstatt einer Vollrückstellung, eine Ansammlungsrückstellung für steuerliche Zwecke einzustellen wäre. Nach aktueller verwaltungsnaher Literatur scheint gerade bei langfristigen Umweltrückstellungen (Entsorgungs- und/oder Abbruchsverpflichtung) eher eine Ansammlungsrückstellung vorzuliegen, bei denen der Rückstellungsbetrag jährlich zu erhöhen ist.

Nötiges zur steuerlichen Bewertung von Rückstellungen

Die neue Abzinsung von langfristigen Rückstellungen macht daher weitere Dokumentierungen für steuerliche Zwecke nötig. Allen voran ist der Erfüllungsbetrag im Zeitpunkt der (vorhersehbaren) tatsächlichen Leistungsverpflichtung sorgfältig zu dokumentieren, Kostensteigerungen sollten idealerweise auf objektiviertem Datenmaterial beruhen und auch in die unternehmensrechtliche Bewertung der Rückstellung eingeflossen sein. Auch hinsichtlich der tatsächlichen Inanspruchnahme im Sinne der zeitlichen Komponente der Abzinsung ist eine sorgfältige Dokumentation hilfreich, um künftige Diskussionen bei Betriebsprüfungen zu vermeiden.

Aus Vereinfachungsgründen wurde bereits angedacht, den (bei Geldleistung um einen inflationsbereinigten, bei Sachleistungen um einen index-angepassten) Gegenwartspreis mit dem jeweiligen Realzinssatz über die Laufzeit der Rückstellung abzuwerten. Dies wurde auch so vom Sektionschef des BMF in der Fachliteratur vertreten. Diese vereinfachte Bewertung führt aber in aller Regel zu einem geringeren Rückstellungsbetrag. Wir empfehlen daher die Rückstellungsbeträge hinsichtlich ihrer konkreten Laufzeiten und ihrer Erfüllungsbeträge für Zwecke der Veranlagung 2014/2015 zu bedenken. Der künftige Erfüllungsbetrag (im Zeitpunkt der realistischen Inanspruchnahme) kann dem 100%igen Teilwert der Steuerrückstellung entsprechen oder es wird eine neue, objektive Bewertung des künftigen Erfüllungsanspruches dokumentiert.

Diese (Neu-)Bewertung von Rückstellungen ist nunmehr jedes Jahr vorzunehmen.

Übergangsvorschrift: „Alt“ wird „Neu“ mit Besonderheiten

Altrückstellungen, also Rückstellungen, deren Anlass in einem Wirtschaftsjahr lag, das vor dem 30. Juni 2014 endet, werden aufgrund gesonderter Übergangsvorschriften in § 124b Z 251 lit b EStG in das neue Abzinsungssystem überführt. Die steuerliche Bewertungsvorschrift für langfristige Rückstellungen und damit einhergehend auch die Konkretisierung hinsichtlich der Laufzeit und des dann anfallenden Erfüllungsanspruchs betrifft auch bereits bestehende langfristige Alt-Rückstellungen, die nach dem 30. Juni 2014 zu bewerten sind. Die Bildung von solchen Alt-Rückstellung durch pauschale Abzinsung (80 % des steuerlichen Teilwerts) war sohin letztmalig für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die vor dem 1. Juli 2014 endeten.

Bestehende langfristige Alt-Rückstellungen werden durch eine Vergleichsrechnung in das neue Abzinsungssystem überführt. Dabei ist der Vergleich zwischen der ausgelaufenen, pauschalen Abzinsung auf den 80%igen Teilwert und der 3,5%igen Abzinsung der Rückstellung über die Laufzeit jeweils auf die Ausgangsgröße (100%iger Teilwert) zu beziehen, zu der die Altrückstellung am letzten Stichtag gebildet wurde. Im Zuge der Abzinsung ist derselbe Nominalwert der Rückstellung heranzuziehen, für die der 80%ige Teilwert angesetzt wurde, um eine Vergleichbarkeit herzustellen. Hinzu-Dotierungen aufgrund einer faktischen Änderung der Parameter an einem Stichtag nach dem 30. Juni 2014 können nur mehr unter das neue Abzinsungsregime mit 3,5 % fallen.

  • Ergibt der Vergleich aufgrund der neuen Abzinsungsregelung (mit 3,5 %) einen höheren als den bisher rückgestellten Betrag, ist die Rückstellung weiterhin mit den bisherigen Teilwert anzusetzen (80%iger Teilwert der Rückstellung). Eine Hinzu-Dotierung/Erhöhung der Rückstellung ist steuerlich nicht vorgesehen.
  • Ergibt der Vergleich aufgrund der neuen Abzinsungsregelung (mit 3,5 %) einen geringeren als den bisher rückgestellten Betrag, ist die Rückstellung auf den neuen Wert „umzustellen“. Der durch die Auflösung der Rückstellung generierte Gewinn kann beginnend im Jahr der Neubewertung auf 3 Jahre linear verteilt werden (2014, 2015 und 2016).

Beispiel

Am 31. Dezember 2012 wurde eine langfristige Rückstellung mit 100.000 € eingestellt (Wirtschaftsjahr = Kalenderjahr). Für Zwecke des Steuerrechts war diese Rückstellung aufgrund der (alten) pauschalen Abzinsung mit 80.000 € zu bewerten. Für die Bewertung der nach wie vor langfristigen Rückstellung am 31. Dezember 2014 ist als Basis der neuen Abzinsungsregelung die 100.000 € heranzuziehen und über die Laufzeit der Rückstellung mit 3,5 % p.a. abzuzinsen. Dieser Vergleichswert von 100.000 € ist für die Übergangsvorschrift auch dann heranzuziehen, wenn am 31. Dezember 2014 die Rückstellung 120.000 € betragen sollte. Am 31. Dezember 2014 wird diese langfristige Rückstellung mit einem Erfüllungsbetrag iHv 120.000 € angesetzt (UGB). Aufgrund der Übergangsvorschriften ergeben sich nun aber folgende Besonderheiten:

Konkretisierung 1: Die Laufzeit der Rückstellung am 31. Dezember 2014 beträgt 7 Jahre. Am 31. Dezember 2014 ist für Altrückstellung – hier iHv 100.000 € – eine Vergleichsrechnung anzustellen: 100.000/1,035^7=78.599,09. Da dieser Betrag niedriger ist als der bisherige steuerliche Rückstellungsbetrag iHv 80.000 €, ist die Rückstellung mit dem geringeren Betrag darzustellen (Neusystem). Der Differenzbetrag aus der Vergleichsrechnung und dem bereits rückgestellten Betrag (78.599,09-80.000=1.400,91) ist auf 3 Jahre ertragswirksam zu verteilen. Aufgrund dieser Übergangsvorschrift sind daher im Jahr der Überführung der Alt-Rückstellung 466,79 € (1.400,91/3) steuerlich erhöhend anzusetzen.

Tatsächlich entspricht der Erfüllungsbetrag am 31. Dezember 2014 aber 120.000 €. Diese Hinzu-Dotierung unterliegt bereits der Neubewertung und ist auf 7 Jahre abzuzinsen (20.000/1,035^7=15.719,83). Steuerlich kann daher eine Dotierung von 15.719,83 € erfolgen. Der steuerlich rückstellbare Betrag entspricht daher vollkommen dem neuen Bewertungsregime (120.000/1,035^7=94.318,92 oder 78.599,09 (überführte Altrückstellung) + 15.719.83).

Konkretisierung 2: Die Laufzeit der Rückstellung am 31. Dezember 2014 beträgt 3 Jahre. Am 31. Dezember 2014 ist für Altrückstellungen – hier iHv 100.000 € – eine Vergleichsrechnung anzustellen: 100.000/1.035^3=90.194,27. Da dieser Betrag höher ist als der bisherige steuerliche Rückstellungsbetrag iHv 80.000 €, ist aufgrund der Übergangsvorschrift der bisherige, steuerlich rückgestellte Betrag beizubehalten. Die Überführung in das neue Abzinsungsregime erfolgt daher stets mit dem geringeren Vergleichswert.

Tatsächlich entspricht der Erfüllungsbetrag am 31. Dezember 2014 aber 120.000 €. Die Hinzu-Dotierung unterliegt bereits der Neubewertung und ist auf 3 Jahre abzuzinsen (20.000/1,035^3=18.038,85). Dies ist nur konsequent, da am 31. Dezember 2014 die steuerliche Vorschrift des § 9 Abs 5 aF EStG zur (alten) pauschalen Abzinsung auf den 80%igen Teilwert nicht mehr anwendbar ist. Daher kann uE eine steuerliche Dotierung von 18.038,85 € erfolgen (uE nicht pauschal mit 16.000).

Aufgrund der Übergangsvorschrift sind 80.000 € in das neue Regime überführt und bleiben als Alt-Rückstellung mit diesem Betrag verhaftet. Die Hinzu-Dotierung ist nach dem Neusystem zu addieren, sodass sich ein steuerlicher Rückstellungsbetrag von 98.038,85 € (80.000+18.035,85) ergibt. Dieser entspricht aufgrund der gesondert normierten Übergangsvorschrift  im Ergebnis nicht dem abgezinsten Betrag der erhöhten Rückstellungsnominale (UGB) am 31. Dezember 2014 (120.000/1,035^3=108.233,12).

Update des Autors:

Die Berechnung des obigen Beispiels (Konkretisierung 2) erfolgte noch vor Veröffentlichung des Wartungserlasses zu den Einkommensteuerrichtlinien. Diese haben nunmehr auch ein Beispiel zur Übergangsregelung und zu den Folgen der Vergleichsrechnung (insbesondere zu Konkretisierung 2 oben) aufgenommen. Während sich für das Beispiel in der Konkretisierung 1 aus den EStR keine Änderung ergibt, kommt die Finanzverwaltung aber nunmehr für die Konkretisierung 2 zu einer anderen Lösung, wie folgendes Beispiel 6 der Rz 3309j in den EStR zeigt:

Zum Bilanzstichtag 31. Dezember 2009 wurde von Unternehmen X eine Rückstellung für die Beseitigung einer Bodenkontamination gebildet, die im Wirtschaftsjahr 2009 eingetreten ist (somit keine Ansammlungsrückstellung) und deren Beseitigung erst in 10 Jahren zu erfolgen hat. Es wurden Kosten in der Höhe von 100.000 € erwartet. Die Rückstellung wurde mit 80 % ihres Teilwertes, somit in Höhe von 80.000 € gebildet.

Zum Bilanzstichtag 31. Dezember 2014 wird bekannt, dass die Beseitigungskosten voraussichtlich 130.000 € betragen werden. Für Zwecke der Vergleichsrechnung ist die im Jahr 2014 bekannt gewordene Kostensteigerung nicht zu berücksichtigen, sondern es ist der zum Bilanzstichtag 31. Dezember 2013 erwartete Erfüllungsbetrag von 100.000 € abzuzinsen. Die erstmalige Abzinsung dieses Erfüllungsbetrages nach Maßgabe von § 9 Abs. 5 EStG 1988 idF AbgÄG 2014 ergibt einen höheren Rückstellungsbetrag von 84.197 € (100.000/1,0355, abgezinst auf Laufzeit von 5 Jahren; Erfüllungsjahr wird zur Gänze berücksichtigt, siehe Rz 3309f) als der bisher rückgestellte Betrag in Höhe von 80.000 €; diese Rückstellung ist daher weiterhin mit 80 % ihres Teilwertes anzusetzen, wenn die Laufzeit der Rückstellung mehr als ein Jahr beträgt (§ 124b Z 251 lit. b EStG 1988). Der per 31. Dezember 2014 erwartete Erfüllungsbetrag von 130.000 € ist daher mit 80 % anzusetzen; die Rückstellung ist in Höhe von 104.000 € zu bilden (130.000*0,8).

Führt daher die Vergleichsrechnung dazu, dass der pauschal auf 80 % abgezinste Betrag niedriger ist, werden – so die Interpretation der Übergangsvorschrift durch die Finanzverwaltung – auch die Hinzudotierungen nach dem „alten“ pauschalen System behandelt; mit der Folge, dass auch eine spätere Hinzudotierung zur Rückstellung mit 80 % angesetzt wird. Die steuerliche Rückstellung bleibt sohin gesamthaft im „Altsystem“ (pauschale Abzinsung auf 80 %) verhaftet.