Begutachtungsentwurf Verrechnungspreisrichtlinien 2020
Im Dezember 2020 veröffentlichte das Finanzministerium den Begutachtungsentwurf der österreichischen Verrechnungspreisrichtlinien 2020 („VPR 2020“). Die VPR 2020 sind eine Überarbeitung der Verrechnungspreisrichtlinien 2010, wobei sowohl den Neuerungen der OECD-Verrechnungspreisleitlinien aus 2017 („OECD-LL“), den Änderungen der OECD-LL nach 2017 (insbesondere Finanztransaktionen), als auch den Erkenntnissen aus der aktuellen Rechtsprechung und Verwaltungspraxis Rechnung getragen wurde. Die OECD-Leitlinien zu den Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf Verrechnungspreise bzw deren wesentliche Aussagen sind im Begutachtungsentwurf nicht enthalten. Der folgende Beitrag fasst die wichtigsten Punkte des Begutachtungsentwurfs zusammen.
Fremdvergleichsgrundsatz und rechtliche Bedeutung der OECD-LL
Die VPR 2020 stellen im Wesentlichen einen Auslegungsbehelf zum Fremdvergleichsgrundsatz dar und sollen insbesondere dessen einheitliche Anwendung sicherstellen. Sie sind für die Auslegung der jeweils anwendbaren DBA-Bestimmungen im Sinne einer dynamischen Interpretation heranzuziehen.
Konzerninterne Verträge
An konzerninterne Verträge setzen die VPR 2020 einen hohen Maßstab. Diese sind grundsätzlich nur anzuerkennen, wenn sie nach außen ausreichend zum Ausdruck kommen, einen klaren eindeutigen Inhalt haben und unter fremden Dritten unter den gleichen Bedingungen abgeschlossen würden.
Geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethoden
Die VPR 2020 folgen den in der „Revised Guidance on the Application of the Transactional Profit Split Method“ (2018) dargelegten Grundsätzen. Zusätzlich wird auf den Profit-Split-Report des EU-JTPF aus 2019 als Auslegungshilfe verwiesen.
Kostenverteilungsverträge („KVV“)
Aufgrund der Änderungen in Kapitel VIII der OECD-LL kommt es in den VPR 2020 zu umfangreichen Anpassungen. Insbesondere werden die Voraussetzungen für das Vorliegen eines KVV und wer Teilnehmer eines KVV sein kann verschärft. Auch die fremdübliche Verrechnung wird neu geregelt. Der Wert der Beiträge der KVV-Teilnehmer muss nun dem fremdvergleichskonformen Wert entsprechen. Kosten ohne Gewinnaufschlag können nur mehr verrechnet werden, wenn die Differenz zwischen dem fremdvergleichskonformen Wert und den Kosten vergleichsweise unerheblich ist. Nach den VPR 2020 scheint dies nur mehr bei Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung der Fall zu sein. Insbesondere R&D-Pools, bei denen in der Vergangenheit oft eine reine Kostenverrechnung erfolgte, sollten im Hinblick darauf überprüft und angepasst werden.
Jahresendanpassungen (Year-End-Adjustments; „YEA“)
Es werden erstmalig Kriterien für die Zulässigkeit eines YEA gesetzt. Die folgenden Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein
▪ die ex-ante-Preisfestsetzung ist mit wesentlichen Unsicherheiten behaftet
▪ vom Abgabepflichtigen wurden unterjährig alle notwendigen Anstrengungen unternommen, einen fremdüblichen Verrechnungspreis zu erzielen (unterjähriges Monitoring),
▪ die preisbestimmenden Faktoren werden vorab vereinbart
▪ die Anpassung führt von einem Wert außerhalb der – mit ex-ante Wissensstand ermittelten – fremdüblichen Bandbreite zu einem Ergebnis innerhalb der fremdüblichen Bandbreite.
Insbesondere weil die YEA-Voraussetzungen kumulativ zu erfüllen sind, könnte die Umsetzung in der Praxis zu Unsicherheiten und Problematiken führen. Da andere Staaten YEA zum Teil weniger restriktiv handhaben, könnte dies zu Fällen von Doppelbesteuerung führen. In diesem Fall verweisen die VPR 2020 auf die Möglichkeit eines Verständigungsverfahrens.
Routinedienstleistungen und der „Low value-adding intra-group-services” (“LVAIGS”) Ansatz
Die in den VPR 2010 angeführte Orientierungshilfe für den Gewinnaufschlag für Routinedienstleistungen von 5% bis 15% wird im Sinne des Berichts des EU-JTPF auf 3% bis 10% (häufig 5%) angepasst. Es ist daher damit zu rechnen, dass Gewinnaufschläge von über 10% im Inboundfall besonders kritisch hinterfragt werden.
Erstmalig wurde auch der LVAIGS-Ansatz der OECD-LL übernommen. Dieser soll die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes für die Verrechnung von Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung vereinfachen. Das LVAIGS-Konzept kann nur für unterstützende Dienstleistungen, die nicht zum Kerngeschäft eines multinationalen Konzerns gehören, angewendet werden.
Risikozuordnung
In Übereinstimmung mit Kapitel I der OECD-LL wird nun die Risikoanalyse und das damit verbundene Konzept der Risikokontrolle in den VPR 2020 erläutert.
Bei der Risikoanalyse ist insbesondere zu untersuchen, wer die entsprechenden Kontroll- und Risikominderungsfunktionen ausübt, wen die positiven und negativen Konsequenzen der Risikoentwicklung treffen und wer über die für die Risikotragung notwendige finanzielle Kapazität verfügt. Die Kontrolle über ein Risiko („control over risk“) muss selbst ausgeübt werden, während die laufenden Tätigkeiten zur Risikominderung auch ausgelagert werden können.
Finanztransaktionen
Das neue Kapitel X der OECD-LL wurde in die VPR 2020 eingearbeitet. So werden künftig wohl deutlich höhere Anforderungen an den Nachweis der Fremdüblichkeit von Verrechnungspreisen bei Finanztransaktionen gestellt. Die VPR 2020 behandeln die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes bei Transaktionen wie Konzerndarlehen, Cash-Pooling, Garantien, Sicherungsgeschäfte, Captives.
Bei konzerninternen Darlehen stellen die VPR 2020 klar, dass Art 9 OECD-MA der Abgrenzung zwischen Eigen- und Fremdkapital dient und diese vorzunehmen ist. Auch soll eine zweiseitige Analyse (einschließlich hinsichtlich Handlungsoptionen) und ein Rating vorgenommen werden, wobei die Auswirkung der Konzernzugehörigkeit auf die Kreditwürdigkeit (möglicher „implicit support“) zu berücksichtigen sind.
Immaterielle Werte
Die VPR 2020 übernehmen die Grundsätze von Kapitel VI der OECD-LL zu immateriellen Werten und insbesondere auch das DEMPE-Konzept. Dieses wird für die Zuordnung der Erträge aus der Übertragung oder Nutzung immaterieller Werte herangezogen. Weiters wurden auch die Aussagen zur grundsätzlichen Ermittlung fremdüblicher Lizenzgebühren sowie die Voraussetzungen an die Verrechnung von Markenlizenzen an Vertriebsgesellschaften überarbeitet.
Hard-to-value intangibles („HTVI”)
Die VPR 2020 folgen dem von der OECD empfohlenen HTVI-Ansatz. Demnach kann die Finanzverwaltung beispielsweise im Fall von schwer zu bewertenden immateriellen Werten, sofern keine Preisanpassungsklausel vereinbart ist, auch ex-post-Ergebnisse für die Beurteilung der Angemessenheit einer Preisgestaltung heranziehen.
Konzernstrukturänderungen
Die Überarbeitungen der Aussagen zu Konzernstrukturänderungen sollen grundsätzlich lediglich klarstellender Natur sein. Sie scheinen sich jedoch den deutschen Regelungen zur Funktionsverlagerung anzunähern. Bei der Übertragung ist neben Wirtschaftsgütern auch die Rede von einer Geschäftstätigkeit.
Standortvorteile und Konzernsynergien
In den VPR 2020 lassen sich nun auch Aussagen der OECD zu Standortvorteilen, staatlichen Subventionen und Konzernsynergien finden. Standortvorteile sind gemäß den in Kapitel I der OECD-LL dargestellten Grundsätzen aufzuteilen.
Betriebsstättenbegriff und „AOA light“
Hier scheinen die VPR 2020 den maßgebenden Betriebsstättenbegriff tendenziell weiter aufzuweichen, so wird das sogenannte „Painter Example“ übernommen.
Im Hinblick auf die Betriebsstättengewinnaufteilung wird der Begriff des „AOA light“ eingeführt. Um den AOA vollständig umsetzen zu können, bedürfte es einer Neufassung des Art. 7 idF OECD-MA 2010 in den DBA. Bei der Gewinnaufteilung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte(n) sind laut den VPR 2020 die Grundsätze des „Authorized OECD Approach“ (AOA) insoweit zu beachten, als diese vom Wortlaut des OECD-MA idF vor 2010 gedeckt sind. So können fremdübliche Zins- und Lizenzverrechnungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Auch können bei Dienstleistungen, die nicht zum Kernaufgabengebiet der leistenden Unternehmenseinheit liegen, nur Kosten zugordnet werden.
Da der AOA von anderen Staaten zum Teil anders (insbesondere umfassend) umgesetzt wurde, kann es sein, dass ein DBA-Partnerstaat die Betriebsstättengewinnermittlung anders als Österreich interpretiert. In diesem Fall verweisen die VPR 2020 auf die Möglichkeit den Besteuerungskonflikt im Rahmen eines Verständigungsverfahrens zu lösen.
Dokumentations- und Meldepflichten
Sollten Steuerpflichtige nicht die Schwellenwerte des Verrechnungspreisdokumentationsgesetzes (VPDG) überschreiten, besteht keine Verpflichtung eine Verrechnungspreisdokumentation nach der Struktur von Local File, Master File und Country-by-Country Report zu erstellen.
Allerdings wird in den VPR 2020 der Mindestinhalt einer Verrechnungspreisdokumentation außerhalb des Anwendungsbereichs des VPDG festgelegt. Diese Anforderungen entsprechen weitgehend den Anforderungen an ein Local File bzw. scheinen sogar über diese hinauszugehen. So wird beispielsweise die Darstellung der Einbindung des inländischen Unternehmens in eine international verlaufende Wertschöpfungskette des Konzerns gefordert. Auch sind der Dokumentation schriftliche Verträge, die im Vorhinein zur Transaktion abgeschlossen wurden, beizulegen.
Somit ist auch für Steuerpflichtige, die nicht die Schwellenwerte des VPDG überschreiten, mit einem erheblichen Dokumentationsaufwand zu rechnen. Diese Dokumentation ist zeitnah zu erstellen, wobei die VPR 2020 unter „zeitnah“ zum Zeitpunkt des Geschäftsvorfalls verstehen.
Gegenberichtigung
Die VPR 2020 legen nunmehr die innerstaatlichen verfahrensrechtlichen Grundlagen für eine Gegenberichtigung dar. Sollte Verjährung eingetreten sein, so kann dies nur im Rahmen eines Verständigungsverfahrens durchbrochen werden.
Fazit und Ausblick
Der vorliegende Begutachtungsentwurf der VPR 2020 ist kein „Game Changer“, er präzisiert bzw. überarbeitet die VPR 2010 jedoch in einigen Bereichen grundlegend. Es bleibt abzuwarten inwieweit die oben genannten Punkte Eingang in die endgültige Fassung finden werden. Insbesondere mit der Umsetzung der Änderungen der OECD-LL ist jedoch zu rechnen. Steuerpflichtige werden jedenfalls gut beraten sein, ihre bestehenden konzerninternen Verrechnungen sowohl inhaltlich als auch aus formellen Gesichtspunkten zeitnah zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.
Autoren: Sebastian Röhrl, Sandra Staudacher