Informationsschreiben zu Verständigungs- und Schiedsverfahren
Am 5. Mai 2022 hat das österreichische Bundesministerium für Finanzen („BMF“) ein neues Informationsschreiben zu Verständigungs- und Schiedsverfahren veröffentlicht (BMF – IV/8, Geschäftszahl 2022-0.300.851). Das Informationsschreiben ersetzt das Informationsschreiben des BMF aus dem Jahre 2019 und gibt einen Überblick über die formellen und materiellen Rahmenbedingungen dieser Verfahren in Österreich.
Aufbau des Informationsschreiben
Das Informationsschreiben gliedert sich in vier Abschnitte:
- Kapitel A: Allgemeines zum internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren
- Kapitel B: Verständigungsverfahren
- Kapitel C: Schiedsverfahren
- Kapitel D: Advance Pricing Arrangements
Zusätzlich enthält das Schreiben als weitere Hilfestellung die folgenden Anlagen:
- besondere Bestimmungen der österreichischen Doppelbesteuerungsabkommen („DBA“) iZm Verständigungsverfahren (Stand 1. Jänner 2022)
- bilateral vereinbarte Schiedsklauseln in österreichischen DBA
Wesentlichste Änderungen – MLI und EU-BStbG
Die wesentlichsten Änderungen ergeben sich durch die Umsetzung des Mehrseitigen Übereinkommens zur Umsetzung steuerabkommensbezogener Maßnahmen zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (Multilateral Convention to Implement Tax Treaty Related Measures to Prevent BEPS, „MLI“) bzw durch das EU-Besteuerungsstreitbeilegungsgesetz („EU-BStbG“).
Das MLI dient der Umsetzung des Base Erosion and Profit Shifting („BEPS“) Aktionsplans der OECD in die DBA der teilnehmenden Staaten. Der BEPS Aktionsplan beinhaltete u.a. auch Vorschläge zur Verbesserung der Streitbeilegung, welche in das MLI aufgenommen wurden. Das MLI wurde von Österreich ratifiziert und ist seit 2019 für die ersten österreichischen DBA wirksam. Derzeit modifiziert es 38 der von Österreich abgeschlossenen DBA. Das BMF stellt im Informationsschreiben dar, wie sich die Maßnahmen des Teils V (Verbesserung der Streitbeilegung) und des Teils VI (Einführung der Schiedsklausel) des MLI auf die österreichischen DBA auswirken und wie sie in der Praxis anzuwenden sind.
Das EU-BStbG stellt die Umsetzung der EU-Streitbeilegungsrichtlinie in Österreich dar. Es eröffnet eine Alternative zu den Verfahren nach einem DBA, dem MLI oder dem EU-Schiedsübereinkommen, um Besteuerungskonflikte zu lösen. Das EU-BStbG legt Verfahrensregeln für die Führung von Verständigungsverfahren innerhalb der EU fest, welche in den Anwendungsbereich eines DBA oder des EU-Schiedsübereinkommens fallen. In zeitlicher Hinsicht umfasst das EU-BStbG Veranlagungszeiträume beginnend am oder nach dem 1. Jänner 2018.
Ziel eines Verständigungs- und Schiedsverfahrens
DBA haben insbesondere auch das Ziel, Doppelbesteuerung zu vermeiden. In manchen Fällen wird dieses Ziel jedoch aufgrund von Besteuerungskonflikten zwischen den Vertragsstaaten nicht erreicht.
Diese Konflikte entstehen vor allem wenn:
-
- die Vertragsstaaten denselben Sachverhalt unterschiedlich interpretieren und dadurch unter unterschiedliche Verteilungsnormen subsumieren,
- die Vertragsstaaten unterschiedliche Rechtsmeinungen zur Interpretation der Verteilungsnormen vertreten.
Um diese zwischenstaatlichen Besteuerungskonflikte zu lösen, beinhalten die DBA, das MLI, das EU-Schiedsübereinkommen und das EU-BStbG Bestimmungen in Form von internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren.
Verständigungs- und Schiedsverfahren
Alle im Informationsschreiben dargestellten Instrumente zur Streitbeilegung (DBA, das MLI, das EU-Schiedsübereinkommen und das EU-BStbG) sehen grundsätzlich ein zweistufiges Verfahren vor: ein Verständigungsverfahren und gegebenenfalls ein daran anschließendes Schiedsverfahren.
Die Ausgestaltung des Verständigungsverfahrens bzw des Schiedsverfahrens ist vom angewandten Streitbeilegungsinstrument abhängig. Das Informationsschreiben enthält daher für jedes Streitbeilegungsinstrument gesonderte Ausführungen.
Diese Ausführungen für Verständigungsverfahren beinhalten in Kapitel B insbesondere die folgenden Aspekte:
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- Beantragung des Verfahrens
- Prüfung des Antrags und Einleitung des Verfahrens
- Beantragung einer möglichen, steuerlichen Entlastung für die Dauer des Verfahrens
- Gang des Verständigungsverfahrens und Stellung des Abkommensberechtigten
- Abschluss des Verfahrens und Umsetzung der Verständigungslösung
Kapitel C umfasst Informationen zum Ablauf eines Schiedsverfahrens, was insbesondere folgende Punkte umfasst:
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- Einleitung des Schiedsverfahrens
- Verhältnis zu innerstaatlichen Rechtsmitteln
- Gang des Schiedsverfahrens
- Abschluss des Schiedsverfahrens und Umsetzung des Ergebnisses
Im Vergleich zu den anderen Instrumenten beinhaltet das EU-BStbG umfassende verfahrensrechtliche Regelungen. Auch bietet das EU-BStbG der beschwerdeführenden Partei verfahrensrechtliche Handlungsmöglichkeiten gegen die zuständigen Behörden, wie beispielsweise bei der Nichteinhaltung von Fristen. Weite Teile des Informationsschreibens befassen sich daher mit dem Verfahren nach dem EU-BStbG.
Advance Pricing Arrangements
Neben Informationen zu Verständigungs- und Schiedsverfahren enthält das Informationsschreiben auch Ausführungen zu Advance Pricing Arrangements („APA“). APA werden grundsätzlich vor der Verwirklichung des konzerninternen Geschäftsvorfalls abgeschlossen und dienen der präventiven Vermeidung einer Doppelbesteuerung.
Grundsätzlich wird zwischen unilateralen APA und bilateralen bzw multilateralen APA unterschieden. Nach den OECD-Verrechnungspreisleitlinien sind unilaterale APA Vereinbarungen, die zwischen einem oder mehreren Steuerpflichtigen und einer Steuerverwaltung abgeschlossen werden. Bilaterale oder multilaterale APAs hingegen werden zwischen einem oder mehreren Steuerpflichtigen und den Steuerbehörden zweier oder mehrerer Steuerverwaltungen (aufgrund der einschlägigen DBA) abgeschlossen. Sie werden nach den Grundsätzen von bilateralen bzw. multilateralen Verständigungsverfahren verhandelt. Dies bedeutet, dass sie nur mit DBA-Partnerstaaten Österreichs durchgeführt werden können sowie dass die entsprechenden Voraussetzungen bezüglich der Anwendbarkeit des jeweiligen DBA sowie des Verständigungsartikels erfüllt sein müssen.
Unilaterale APA wurden in Österreich durch § 118 BAO, dem sogenannten Auskunftsbescheid bzw Advance Ruling umgesetzt. Nachdem es zum Advance Ruling bereits umfassende Regelungen gibt, befasst sich das Informationsschreiben insbesondere mit den bilateralen bzw. multilateralen APAs.
Das Informationsschreiben sieht vor formeller Initiierung eines APA ein informelles Gespräch (Prefiling Meeting) vor. Das Vorgespräch soll dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit bieten, die Bereitschaft zur Durchführung eines APA, die Geeignetheit eines APA im konkreten Fall, Art und Umfang der zur Verfügung zu stellenden Unterlagen sowie einen groben Zeitplan mit der zuständigen Behörde abzustimmen.
Bilaterale APA bedürfen eines Ersuchens des Steuerpflichtigen. Das Informationsschreiben enthält Ausführungen betreffend die Form dieses Ersuchens, und listet erforderliche Unterlagen auf. Die Stattgabe des Ersuchens des Steuerpflichtigen liegt im Ermessen der Behörde.
Neben der Darlegung des Sachverhalts und der inhaltlichen Beurteilung enthält ein APA auch Gültigkeitsbedingungen (Critical Assumptions) sowie Berichtspflichten.
Vor Abschluss des APA wird dem Steuerpflichtigen die von den Behörden erzielte Einigung übermittelt. Sollte der Steuerpflichtige zustimmen, wird das APA für die zuständigen Behörden bindend.
Zusätzlich zu einem APA besteht auch die Möglichkeit eines sogenannten „roll-back“, also einer Übernahme der im APA erzielten Lösung für Zeiträume vor Gültigkeit des APA im Wege eines Verständigungsverfahrens.
Fazit und Ausblick
Die steigende Anzahl an Verständigungsverfahren zeigt, dass Steuerpflichtige vermehrt mit der Situation einer (drohenden) Doppelbesteuerung konfrontiert werden. Es ist davon auszugehen, dass das neue Informationsschreiben zu Verständigungs- und Schiedsverfahren daher von hoher praktischer Relevanz sein wird.
Verfasst von: Sandra Staudacher, Karol Dziwiński