COVID-19: Sozialversicherungs- und steuerrechtliche Implikationen bei grenzüberschreitenden Mitarbeitereinsätzen
Bei Personen mit grenzüberschreitenden Tätigkeiten – seien es Dienstreisen, Kurz-/Langzeit-Entsendungen oder regelmäßige Tätigkeiten in mehreren Staaten – ist zu prüfen, ob sich die sozialversicherungs- oder steuerrechtliche Stellung ändert, sollten aufgrund erhöhter COVID-19 Vorsichtsmaßnahmen vermehrt Home Office Tätigkeiten erbracht werden.
Dieser ursprünglich am 18. März veröffentlichte Artikel wurde am 3. Juni 2020 aktualisiert.
Sozialversicherung
Grundsätzlich ergibt sich im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden beruflichen Tätigkeiten aus den unions-/abkommensrechtlichen oder auch den innerstaatlichen Bestimmungen, in welchem Staat die Sozialversicherungspflicht besteht.
Sollten DienstnehmerInnen vorübergehend vermehrt im Home Office arbeiten, und besteht Sozialversicherungspflicht in einem anderen Staat (innerhalb der EU/EWR/Schweiz) außerhalb des Wohnsitzstaates, kann ein Überschreiten eines Tätigkeitsumfangs von 25% im Wohnsitzstaat einen Wechsel der Sozialversicherungszuständigkeit in den Wohnsitzstaat zur Folge haben. Bei sämtlichen Änderungen des bisherigen grenzüberschreitenden Arbeitsmusters wäre in jedem Fall zu prüfen, ob entsprechend der unions-, abkommensrechtlichen oder innerstaatlichen Regelungen eine Neubeurteilung der sozialversicherungsrechtlichen Stellung notwendig ist.
Werden Entsendungen unterbrochen und DienstnehmerInnen aus dem Einsatzgebiet “nach Hause” geholt, und handelt es sich nur um eine vorübergehende Unterbrechung (unter 2 Monate), würde man bei Wiederaufnahme der Entsendung von keiner wesentlichen Unterbrechung des Entsendezeitraums ausgehen. Hierbei ist zu beachten, dass der maximale Entsendezeitraum von 24 Monaten (inklusive der Unterbrechung) nicht überschritten wird. Dauert die Unterbrechung länger als 2 Monate, ist davon auszugehen, dass bei Wiederaufnahme der Entsendung ein neuer Entsendezeitraum startet.
Wichtig: Entspricht die vorliegende A1 Bescheinigung weiterhin den tatsächlichen (neuen) Gegebenheiten oder ist eine Korrektur notwendig?
Erleichterung seitens der Behörden denkbar:
Nach Rücksprache mit dem österreichischen Sozialministerium (“BMSGPK”) bekamen wir die derzeit informelle, nicht publizierte, Auskunft, dass aufgrund der aktuellen Corona-Krise keine Neubeurteilung der sozialversicherungsrechtlichen Stellung (mit möglichem Wechsel der Sozialversicherungspflicht in einen anderen Staat) vorzunehmen sei, wenn die Änderung des Arbeitsmusters den getroffenen Vorsichtsmaßnahmen (wie vermehrt Home Office Tätigkeiten) zuzuschreiben ist. Bitte beachten Sie: Dies ist nur die Sicht der österreichischen Behörden. Wie ausländische Behörden in dieser Situation vorgehen, wäre abzuklären.
Update (Stand Mai 2020):
Mittlerweile hat der Dachverband der Sozialversicherungsträger auf seiner Homepage Informationen zu den Corona-bedingten Maßnahmen im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden beruflichen Tätigkeiten veröffentlicht. Diese decken sich grundsätzlich mit der telefonischen Auskunft des österreichischen Sozialministeriums, welche wir zu Beginn der Corona-Krise erhalten haben. Demzufolge führen corona-bedingt vorübergehend geänderte Arbeitsmuster zu keiner Neubeurteilung der bereits festgestellten Sozialversicherungszuordnung. Beispielhaft angeführt werden Grenzgänger, die vorübergehend vermehrt oder ausschließlich im Home Office tätig sind, aber in einem anderen Staat, außerhalb des Wohnsitzstaates, sozialversicherungspflichtig sind (eine A1 Bescheinigung liegt vor). Ebenso angeführt sind sogenannte „Multi-state“ worker, die ihre mehrfache Erwerbstätigkeit vorübergehend nicht oder nur eingeschränkt ausüben können. In diesen Fällen ist keine Meldung an den zuständigen Sozialversicherungsträger (zB ÖGK oder SVS) zu erstatten. Wir empfehlen jedoch bei Ungewissheit Rücksprache mit dem Sozialversicherungsträger zu halten. Außerdem sollte eine gültige A1 Bescheinigung vorliegen.
Auch unser regelmäßiger Austausch im weltweiten PwC Netzwerk zeigt, dass einige andere Länder dieser Ansicht folgen und vorerst von einer Neubeurteilung der sozialversicherungsrechtlichen Stellung absehen (zB in Deutschland, Dänemark, Frankreich). Im Falle von Mehrfachtätigkeiten innerhalb der EU/EWR/Schweiz (sogenannten „Multi-state-Workern“) ist ohnehin entsprechend der EU-rechtlichen Koordinierungsvorschriften ein in der Zukunft liegender 12-Monatszeitraum ausschlaggebend, um festzulegen, in welchem Staat die Sozialversicherungspflicht besteht. Wurde die Sozialversicherungspflicht mit einer A1 Bescheinigung festgestellt, so ist dieses A1 für den ausgestellten Zeitraum grundsätzlich gültig und hat Bindungswirkung. Nur der ausstellende Träger kann das bereits ausgestellte A1 unter besonderen Umständen zurückziehen, für ungültig erklären oder vorzeitig beenden (zB im Falle von gemeldeten Sachverhaltsänderungen). Eine hier genannte Sachverhaltsänderung liegt jedoch für corona-bedingt vorübergehende Änderungen der grenzüberschreitenden Tätigkeiten – wie vorher angeführt – nicht vor.
Im Falle von laufenden Entsendungen empfehlen wir dennoch, Kontakt mit dem zuständigen Sozialversicherungsträger aufzunehmen und gegebenenfalls die A1 Bescheinigung auf einen Gesamtzeitraum von 2 Jahren zu verlängern oder eine Unterbrechung von mehr als 2 Monaten bekannt zu geben, damit eine neuerliche Entsendung von weiteren maximal 2 Jahren beginnen kann.
Gerne unterstützt PwC Österreich bei der Abklärung mit den österreichischen Behörden oder etwaigen Verlängerungen/Korrekturen von A1 Bescheinigungen.
Einkommensteuer/Lohnsteuer
Ausländische DienstgeberInnen, die österreichischen DienstnehmerInnen gestatten/anordnen, der Tätigkeit im Home Office nachzugehen, sollten die gesetzliche Neuregelung ab 1. Jänner 2020 in Österreich beachten, welche DienstgeberInnen von in Österreich unbeschränkt steuerpflichtigen DienstnehmerInnen zum Lohnsteuerabzug sowie zum entsprechenden Reporting (zB Übermittlung von Lohnzettel, Führen eines Lohnkontos) verpflichtet.
Auch auf die Zuordnung der Besteuerungsrechte zwischen zwei Staaten könnte ein frühzeitiger Abbruch eines Auslandseinsatzes aufgrund des Coronaviruses Einfluss haben: Insbesondere bei länger geplanten Entsendungen, bei denen die Familien in den Tätigkeitsstaat übersiedelt, kommt es generell zur Verlagerung des Mittelpunkt des Lebensinteresses ins Ausland. Die Besteuerung der Bezüge erfolgt in der Regel im Tätigkeitsstaat. In Österreich besteht – sofern keine weiteren in Österreich steuerpflichtigen Einkünfte vorhanden sind – keine Verpflichtung zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung.
Sollte aufgrund des Coronaviruses die Familie vorzeitig nach Österreich zurückkehren, kann dies zur Ansässigkeitsverlagerung/Verbleib der Ansässigkeit in Österreich führen, auch wenn der Expat selbst im Tätigkeitsstaat verbleibt. In diesen Fällen ist zu empfehlen, die Besteuerungsrechte an diversen Einkünften anhand des Doppelbesteuerungsabkommens zu bewerten und zu analysieren, welche steuerlichen Auswirkungen die Ansässigkeitsverlagerung auf die Compliance-Verpflichtungen im In- und Ausland hat.
Ein Abbruch einer Entsendung vor Ablauf von 183 (Anwesenheits-)Tagen kann dazu führen, dass das Besteuerungsrecht auf die Bezüge unplanmäßig doch beim Ansässigkeitsstaat verbleibt. Hingegen kann eine Erkrankung am Coronavirus dazu führen, dass eine geplante Ausreise vor Überschreiten der 183 Tage nicht möglich ist. Als Anwesenheitstage zählen auch An- und Abreisetage sowie Urlaubs- und Krankentage, die im Tätigkeitsstaat verbracht werden.
Eine Ausnahme besteht, wenn die 183 Tage nur überschritten werden, weil eine Krankheit – wie der Coronavirus – die rechtzeitige Ausreise verhindert. Aus österreichischer Sicht bleibt das Besteuerungsrecht in diesen Fällen beim Ansässigkeitsstaat (Erlass des BMF vom 18.11.1991, Auslegung der 183-Tage-Klausel in Doppelbesteuerungsabkommen; Fristenberechnung, GZ 04 0610/169-IV/4/91). Ob der andere Staat dieser Ansicht folgt, ist abzuklären.