EU-Richtlinienvorschlag zur globalen Mindestbesteuerung („Pillar II“) veröffentlicht
Am 22. Dezember 2021 veröffentlichte die Europäische Kommission einen Richtlinienvorschlag zur Einführung einer globalen Mindestbesteuerung für große Unternehmensgruppen in der Europäischen Union. Damit sollen die von der OECD erarbeiteten, am 20. Dezember 2021 veröffentlichten Pillar II-Regelungen („Model Rules“) hinsichtlich einer effektiven Besteuerung multinationaler Unternehmen iHv 15% in den EU-Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Im Vergleich zu den OECD-Model Rules wurden im EU-Richtlinienvorschlag wenige, auf die unionsrechtlichen Rahmenbedingungen zurückzuführenden Abweichungen vorgenommen.
Ziele, Überblick und Grundkonzept
Allgemein zielt Pillar II darauf ab, eine effektive Mindestbesteuerung für große multinationale Unternehmensgruppen einzuführen und einen exzessiven Steuerwettbewerb zwischen verschiedenen Staaten zu unterbinden.
Die globale Mindestbesteuerung iHv 15% soll durch zwei in nationales Recht umzusetzende Regelungen und einer abkommensrechtlichen Regelung sichergestellt werden. Zu ersteren zählen die Income Inclusion Rule (IIR) und die Undertaxed Payments Rule (UTPR), die gemeinsam als Global anti-Base Erosion Rules (GloBE) bezeichnet werden und Teil des EU-Richtlinienvorschlags sind. Nach diesen Regelungen sollen Konzerngesellschaften und Betriebsstätten mit einer effektiven Steuerbelastung unter 15% („niedrigbesteuert“) anhand eines Mindeststeuersatzes iHv 15% besteuert werden. Die IIR soll – ähnlich der Wirkungsweise der Hinzurechnungsbesteuerung in § 10a KStG – zur Besteuerung solcher niedrigbesteuerter Einkünfte auf Ebene der obersten Muttergesellschaft führen (top-up tax). Die Art der niedrigbesteuerten Einkünfte (aktive oder passive Einkünfte) ist dabei nicht entscheidend. Greift die IIR für eine niedrigbesteuerte Konzerngesellschaft – etwa mangels Umsetzung auf übergeordneter Konzernebene – nicht, soll die UTPR zur Anwendung kommen und die top-up tax anhand der Zahl der Arbeitskräfte und der Buchwerte der körperlichen Wirtschaftsgüter zwischen den jeweiligen Staaten verteilen.
Die abkommensrechtliche Subject to Tax Rule (STTR) soll es dem Quellenstaat ermöglichen, eine konzerninterne Zahlung zum Mindeststeuersatz zu besteuern, wenn diese Zahlung im anderen Vertragsstaat einer Niedrigbesteuerung unterliegt. Die STTR ist in die bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen aufzunehmen und kein Teil des EU-Richtlinienvorschlags.
Eckpunkte des EU-Richtlinienvorschlags: Income Inclusion Rule (IIR) und Undertaxed Payments Rule (UTPR)
Anwendungsbereich
- In den Anwendungsbereich der IIR und UTPR fallen international tätige Unternehmensgruppen mit einem konsolidierten Jahresumsatz von mindestens EUR 750 Mio (dies entspricht dem Schwellenwert für das Country-by-Country-Reporting) in mindestens zwei der letzten vier Wirtschaftsjahre. Zudem werden – über den OECD-Vorschlag hinaus – auch rein national tätige Unternehmensgruppen mit einem konsolidierten Jahresumsatz von mindestens EUR 750 Mio erfasst, um eine Ungleichbehandlung von grenzüberschreitenden und rein nationalen Konstellationen zu verhindern. Allerdings soll nach einer Übergangsregelung für rein nationale Unternehmensgruppen in den ersten fünf Jahren keine zusätzliche Steuerbelastung durch die GloBE-Regeln anfallen.
- Vom Anwendungsbereich ausgenommen sind staatliche Unternehmen, internationale und gemeinnützige Organisationen und Pensionsfonds. Investmentfonds und Immobilieninvestmentfonds sind ausgenommen, wenn sie an der Konzernspitze stehen.
- Eine Ausnahme für den Zeitraum von fünf Jahren besteht für multinationale Konzerne in der Anfangsphase ihrer grenzüberschreitenden Tätigkeiten, wenn i) sie über Gesellschaften und Betriebsstätten in nicht mehr als 6 Ländern verfügen und ii) die Summe der Buchwerte der körperlichen Wirtschaftsgüter aller Konzerngesellschaften und Betriebsstätten in den jeweiligen Staaten exkl. des Referenzlandes (das Land mit dem höchsten Wert an körperlichen Wirtschaftsgütern) EUR 50 Mio nicht überschreitet. Diese Ausnahme gilt – anders als in den OECD-Model Rules vorgesehen – sowohl für die UTPR als auch für die IIR.
Income Inclusion Rule und Undertaxed Payments Rule
- Unterliegen Konzerngesellschaften oder Betriebsstätten einer effektiven Steuerbelastung von unter 15%, gelten diese als niedrig besteuert. In diesem Fall ist nach der IIR die Differenz zwischen der effektiven Steuerbelastung und dem 15%-Mindeststeuersatz im Staat der obersten Muttergesellschaft zu besteuern (top-up tax). Anders als die OECD-Model Rules dehnt der EU-Richtlinienvorschlag die Anwendung der IIR auch auf die niedrigbesteuerten Konzerngesellschaften und Betriebsstätten aus, die in demselben Mitgliedstaat wie die oberste Muttergesellschaft ansässig sind.
- Kommt die IIR im Staat der obersten Muttergesellschaft nicht zur Anwendung, bspw weil in diesem Staat die Regelung nicht umgesetzt wurde, ist die IIR von den Konzerngesellschaften auf untergeordneten Konzernebenen hinsichtlich der niedrigbesteuerten Tochtergesellschaften oder Betriebsstätten anzuwenden.
- Die Berechnung der effektiven Steuerbelastung erfolgt in einer länderweisen Betrachtung: Sämtliche steuerlich in einem Staat ansässigen Konzerngesellschaften und belegenen Betriebsstätten werden hinsichtlich der effektiven Steuerbelastung gemeinsam beurteilt, auch wenn diese unterschiedlichen Konzernsträngen zugeordnet sind. Die effektive Steuerbelastung ergibt sich mittels Division der in einem Staat entrichteten (Gewinn-)Steuern durch das adaptierte Einkommen, das von den Konzerngesellschaften und Betriebsstätten in diesem Staat erwirtschaftet wurde.
- Ausgangspunkt der Berechnung des adaptierten Einkommens ist der nach dem Rechnungslegungsstandard des Konzernabschlusses der obersten Muttergesellschaft (IFRS oder vergleichbarer Rechnungslegungsstandard) ermittelte Gewinn oder Verlust dieser Gesellschaft oder Betriebsstätte. Dieses Ergebnis ist anschließend um bestimmte Positionen zu adaptieren, bspw um den Steueraufwand, erhaltene Dividenden von Beteiligungen iHv 10% oder mehr oder Anpassungen von Fair Value-Bewertungen. Weiters sieht der EU-Richtlinienvorschlag auch spezifische Vorschriften zur Berücksichtigung temporärer Differenzen (zB für Verlustvorträge) vor.
- Der EU-Richtlinienvorschlag enthält eine betragliche Substanzausnahme, wonach ein Betrag in Höhe von 8% der Buchwerte der körperlichen Wirtschaftsgüter sowie 10% der Lohnkosten aus der Bemessungsgrundlage (adaptiertes Einkommen) ausgeklammert werden soll. Innerhalb einer 10-jährigen Übergangsphase sollen sich die Prozentsätze bis zum Jahr 2032 schrittweise auf einheitlich 5% reduzieren.
- Die in einem Staat zu berücksichtigenden Steuern umfassen unter anderem die Gewinnsteuern und Quellensteuern auf Dividendenzahlungen. Nach dem Grundprinzip sind Steuern in jenem Staat zu berücksichtigen, in dem die zugrunde liegenden Gewinne erwirtschaftet wurden.
- Der EU-Richtlinienvorschlag enthält eine De-Minimis-Ausnahme, die jene Staaten von der globalen Mindestbesteuerung ausnimmt, in denen die erfassten Unternehmensgruppen weniger als EUR 10 Mio Umsatz und weniger als EUR 1 Mio Gewinn erwirtschaften.
- Befindet sich die oberste Muttergesellschaft in einem Nicht-EU-Staat, der keine vergleichbare IIR anwendet, oder wird die oberste Muttergesellschaft selbst niedrigbesteuert, kommt die Undertaxed Payments Rule zur Anwendung auf jene Einkünfte niedrigbesteuerter Konzerngesellschaften oder Betriebsstätten, die nicht vollständig in eine IIR einbezogen werden. Eine auf solche Einkünfte entfallende top-up tax wird anhand zweier Faktoren zwischen den Staaten, die eine UTPR eingeführt haben, aufgeteilt (Zahl der Arbeitnehmer und Buchwerte der körperlichen Wirtschaftsgüter).
- Der EU-Richtlinienvorschlag normiert, unter welchen Voraussetzungen die GloBE-Regelungen eines Drittstaats als gleichwertig mit den EU-GloBE-Regelungen angesehen werden (bspw Erhebung einer top-up tax durch die oberste Muttergesellschaft für niedrigbesteuerte Konzerngesellschaften und Betriebsstätten; effektiver Mindeststeuersatz von min. 15%; Zusammenrechnung von Einkünften von Unternehmen, die in einem Staatsgebiet ansässig sind). Die Beurteilung der Gleichwertigkeit wird von der Europäischen Kommission vorgenommen.
Nationale top-up tax
- EU-Mitgliedstaaten können optional eine nationale top-up tax für die jeweils in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen, niedrigbesteuerten Gesellschaften und Betriebsstätten einführen. Bei Einhebung einer nationalen top-up tax bis zu einer effektiven Besteuerung iHv 15% fällt auf Ebene der obersten Muttergesellschaft keine (zusätzliche) top-up tax mehr an. Durch die nationale top-up tax können die Mitgliedstaaten an den Steuermehreinnahmen partizipieren, die bei den in ihrem Staatsgebiet ansässigen, niedrigbesteuerten Gesellschaften in Folge der GloBE-Regelungen anfallen würden.
Erklärungspflichten und Strafen
- Jede Konzerngesellschaft hat eine Steuererklärung betreffend die top-up tax einzureichen, wenn eine solche Erklärung nicht bereits von der obersten Muttergesellschaft oder einer anderen Konzerngesellschaft in einem Staat eingereicht wurde, mit dem ein umfassender Informationsaustausch besteht. Die Steuererklärung ist innerhalb von 15 Monaten nach Ende jenes Wirtschaftsjahres einzureichen, auf das sie sich bezieht (im ersten Jahr des Inkrafttretens der Neuregelungen: innerhalb von 18 Monaten).
- Für Verstöße gegen die Pillar II-Regelungen sollen die Mitgliedstaaten wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen einführen. Kommt eine Konzerngesellschaft der Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung über die top-up tax nicht fristgerecht nach oder gibt sie eine falsche Steuererklärung ab, ist eine Geldstrafe in Höhe von 5% ihres Umsatzes in dem betroffenen Wirtschaftsjahr zu verhängen. Diese Strafe wird jedoch nicht verhängt, wenn die Informationen zur top-up tax nach einer etwaigen Aufforderung innerhalb von sechs Monaten bereitgestellt werden.
Fazit und Ausblick
Bei Umsetzung der GloBE-Regelungen wird ein neues Besteuerungsregime mit äußerst komplexen und detailreichen Regelungen geschaffen, das für sämtliche großen Konzerne zur Anwendung kommen soll. Für die Umsetzung des EU-Richtlinienvorschlags sieht die Europäische Kommission einen sehr ambitionierten Zeitplan vor: Die Income Inclusion Rule soll von den Mitgliedstaaten bis 31. Dezember 2022 umzusetzen sein und ab 1. Jänner 2023 angewendet werden, die Undertaxed Payments Rule ab 1. Jänner 2024. Die für die Verabschiedung der EU-Richtlinie erforderliche Einstimmigkeit aller 27 Mitgliedstaaten scheint vor dem Hintergrund der starken politischen Zustimmung zu den OECD-Model Rules grundsätzlich denkbar. Ob allerdings der knappe Zeitplan auch tatsächlich hält, bleibt abzuwarten. Schließlich sind uE noch einige hochkomplexe (Detail-)Fragen zur Anwendung der Regelungen offen.
Aus österreichischer Perspektive würde die Umsetzung des EU-Richtlinienvorschlags primär Konzerne mit Headquarter in Österreich, konsolidierten Jahresumsätzen von über EUR 750 Mio und Tochtergesellschaften oder Betriebsstätten im niedrigbesteuerten Ausland treffen. Weiters können auch österreichische Tochtergesellschaften oder Betriebsstätten eines Konzerns mit konsolidierten Jahresumsätzen von über EUR 750 Mio betroffen sein, wenn die GloBE-Regelungen im Staat der obersten Muttergesellschaft (noch) nicht anwendbar sind. Zudem könnten – durch die Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung betreffend die top-up tax für jede Konzerngesellschaft (sofern keine Ausnahme greift) oder in Folge der erforderlichen Mitwirkung untergeordneter Konzerngesellschaften bei der Datenerhebung für die Anwendung und Berechnung der GloBE-Regelungen – auch andere österreichische Konzerngesellschaften mit hohem Compliance-Aufwand konfrontiert sein.
Link zum EU-Richtlinienvorschlag: https://ec.europa.eu/taxation_customs/system/files/2021-12/COM_2021_823_1_EN_ACT_part1_v11.pdf
Link zu den OECD-Model Rules: https://www.oecd.org/tax/beps/tax-challenges-arising-from-the-digitalisation-of-the-economy-global-anti-base-erosion-model-rules-pillar-two.pdf