Anti-Tax Avoidance Directive (ATAD 3): Ab 2024 verpflichtende Meldung von substanzschwachen EU-Gesellschaften an Steuerbehörde geplant
Kurz vor dem Jahreswechsel 2021/22 hat die Europäische Kommission einen Richtlinienänderungsentwurf zur Anti-Tax Avoidance Directive (sog. „ATAD 3“) präsentiert, mit dem gezielt gegen die missbräuchliche Nutzung von Briefkastenfirmen vorgegangen werden soll. Die geplante Richtlinie sieht umfangreiche Meldeverpflichtungen hinsichtlich substanzschwacher Gesellschaften vor, an deren Ende der potenzielle Verlust von Steuervorteilen (wie z.B. aus der Anwendung der Mutter-Tochter- oder der Zinsen-Lizenzen-Richtlinie) steht. Weiters ermächtigt die Richtlinie die Finanzverwaltung dazu, ausländische (potenzielle) Briefkastengesellschaften einer Substanzprüfung durch ausländische Behörden unterziehen zu lassen. Gerade internationale Konzerne sind in Anbetracht dieser neuen Regelungen angehalten, ihre Strukturen zeitnah zu prüfen um etwaige Auswirkungen frühzeitig zu erkennen.
Hintergrund
Am 22. Dezember 2021 hat die Europäische Kommission den Entwurf einer Änderung der Amtshilferichtlinie (RL 2021/16/EU) präsentiert, der Maßnahmen zur Verhinderung des missbräuchlichen Einsatzes von Briefkastenfirmen (sog. „Shell Companies“) vorsieht. Zwar hat die Kommission anerkannt, dass Gesellschaften ohne oder mit nur geringer wirtschaftlicher Substanz auch gewerblichen und geschäftlichen Funktionen dienen können. Da solche Gesellschaften, trotz diverser Maßnahmen der letzten Jahre (ATAD, Ausweitung der Amtshilferichtlinie, etc.) jedoch weiterhin das Risiko in sich bergen, zu aggressiven Steuerpraktiken herangezogen zu werden, schlägt die Kommission nun die Einführung eines mehrstufigen Substanztests vor, der von der missbräuchlichen Nutzung von Briefkastenfirmen abschrecken und so zu einer fairen und effektiven Besteuerung sowie zur Sicherstellung des Funktionierens des Binnenmarktes beitragen soll. Siehe im Detail dazu auch unseren englischen Tax Policy Alert.
Anwendungsbereich
Die Richtlinie erstreckt sich auf alle Unternehmen, die in einem EU-Mitgliedstaat ansässig und prinzipiell berechtigt sind, eine steuerliche Ansässigkeitsbescheinigung zu erhalten. Der Substanztest kommt daher unabhängig von der gewählten Rechtsform oder der Höhe der Umsätze einer Gesellschaft zur Anwendung. Im Sinne der Rechtssicherheit nimmt die Richtlinie jedoch bestimmte Gesellschaften, denen lediglich ein sehr geringes Risiko anhaftet, zu missbräuchlichen Zwecken eingesetzt zu werden, vom Substanztest aus. Dazu gehören:
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- Börsennotierte Gesellschaften
- Regulierte Finanzinstitute
- Gesellschaften, deren Haupttätigkeit im Halten von Anteilen an operativen Gesellschaften liegt, wobei die operative Gesellschaft sowie deren wirtschaftliche Eigentümer steuerlich im selben Mitgliedstaat ansässig sind, wie die zwischengeschaltete Holdinggesellschaft
- Gesellschaften mit mind. 5 eigenen Vollzeit Angestellten, die ausschließlich Tätigkeiten nachgehen, mit denen relevante Einkünfte (siehe unten) erzielt werden
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Substanztest („Minimum Substance Test“)
1. Meldepflichtige Unternehmen
In einem ersten Schritt legt die Richtlinie fest, unter welchen Umständen ein „hohes Risiko“ hinsichtlich des missbräuchlichen Einsatzes von Unternehmen angenommen werden kann (sog. Gateway-Test). Dies ist gegeben bei kumulativer Erfüllung der drei folgenden Kriterien:
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- Grenzüberschreitend tätige Unternehmen,
- die ortsunabhängig agieren können, und
- die ihre eigene Verwaltung an Dritte auslagern.
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Eine grenzüberschreitende Tätigkeit liegt vor, sofern > 60% der Buchwerte bestimmter Vermögenswerte in den letzten 2 Jahren außerhalb des Ansässigkeitsstaates der Gesellschaft belegen waren oder > 60% der relevanten Einkünfte im Rahmen von grenzüberschreitenden Transaktionen erzielt oder ausbezahlt wurden.
Eine Ortsunabhängigkeit gilt als gegeben, wenn > 75% der Erlöse der vorangegangenen zwei Jahre als sog. „relevantes Einkommen“ (insb. Einkünfte wie Zinsen, Erträge aus Krypto-Assets, Lizenzen, Miet-/Leasingerträge, Versicherungserträge, Dividenden und Capital Gains) qualifiziert werden. Das Kriterium gilt weiters auch dann als erfüllt, wenn bestimmte Arten von Wirtschaftsgütern (z.B. Beteiligungen) > 75% des gesamten Buchvermögens der Gesellschaft ausmachen.
2. Meldung von Substanzindikatoren
Haftet einem Unternehmen gem. dem oben angeführten Test ein hohes Risiko an, ist es verpflichtet im Rahmen der Jahressteuererklärung bestimmte Angaben zu dessen Substanz offenzulegen. So hat es zu bestätigen:
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- ob es über eigene Geschäftsräumlichkeiten verfügt bzw. solche die ausschließlich von der Gesellschaft genutzt werden,
- ob ein eigenes, aktives Bankkonto innerhalb der EU besteht, und
- ob mind. ein Geschäftsführer des Unternehmens nahe der Gesellschaft ansässig ist und sich dieser beruflichen Tätigkeit widmet oder – alternativ – die Mehrheit der Vollzeitbeschäftigten des Unternehmens (die mit den wesentlichen einkommensbildenden Tätigkeiten des Unternehmens befasst sind) in der Nähe des Unternehmens ansässig sind.
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Der Jahressteuererklärung sind zudem Unterlagen beizufügen, aus denen diverse Informationen hervorgehen (z.B. Lage und Art der Geschäftsräumlichkeiten, Höhe und Art der Bruttoeinnahmen, Höhe und Art der Betriebsausgaben, Geschäftsaktivitäten die zur Erzielung der oben angeführten relevanten Einkünfte führen, Anzahl der Geschäftsführer und ihre Qualifikationen, Ansässigkeit der Geschäftsführer, Informationen zu den genutzten Bankkonten inklusive Zugriffsmöglichkeiten darauf, etc.).
3. Beurteilung Substanz und eines etwaigen Steuermissbrauchs
In einem dritten Schritt ist seitens der Finanzverwaltung anhand der übermittelten Bestätigungen und Informationen festzustellen, ob die betreffende Gesellschaft ein Mindestmaß an Substanz aufweist. Werden nicht alle oben angeführten Substanzkriterien erfüllt oder kann ihre Erfüllung nicht durch Beibringung entsprechender Unterlagen zufriedenstellend belegt werden, liegt eine „Briefkastengesellschaft“ im Sinne der Richtlinie vor.
Achtung: Die oben angeführte Einstufung steht einer anderslautenden Beurteilung seitens der Finanzverwaltungen nach nationalem Recht oder der Feststellung, dass die Gesellschaft nicht wirtschaftlicher Eigentümer der an sie gezahlten Einkünfte ist, nicht entgegen.
4. Widerlegung der Annahme einer missbräuchlichen Briefkastengesellschaft
Kommt die Finanzverwaltung zu dem Schluss, dass es sich um eine (potenziell) missbräuchlich eingesetzte, substanzlose Briefkastengesellschaft handelt, hat der Steuerpflichtige die Möglichkeit der Gegenbeweisführung (sog. „Rebuttal of the presumption“). Hierbei ist insbesondere auf die wirtschaftlichen Gründe für die Errichtung und Führung der Gesellschaft, die zur Tätigkeit genutzten Ressourcen (Räumlichkeiten, Mitarbeiterprofile und Kompetenzen, etc.) sowie auf Informationen einzugehen, aus denen hervorgeht, dass die wesentlichen Geschäftsentscheidungen tatsächlich im Ansässigkeitsstaat der Gesellschaft getroffen werden.
Eine erfolgreiche Widerlegung gilt für einen Zeitraum von einem Jahr, wobei die Gültigkeit um weitere 5 Jahre verlängert werden kann, sofern die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse der Gesellschaft unverändert bleiben.
5. Befreiung von der Meldepflicht mangels Steuervorteil
Jede Gesellschaft hat weiters die Möglichkeit, um eine Befreiung von der Meldepflicht anzusuchen, sofern das Bestehen der Gesellschaft bzw. ihre „Zwischenschaltung“ wirtschaftlich begründet ist („genuine business purpose“) und nicht zu einer Verminderung der Steuerschuld ihres wirtschaftlichen Eigentümers oder der Unternehmensgruppe führt, der die Gesellschaft angehört. Dies gilt auch für ansonsten substanzlose (Briefkasten-)Gesellschaften im Sinne der Richtlinie.
Eine Befreiung wird jeweils für ein Jahr gewährt, wobei ein Mitgliedstaat die Gültigkeit der Befreiung um weitere 5 Jahre verlängern kann, sofern die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse der Gesellschaft unverändert bleiben.
Folgen
An das Vorliegen der Annahme, dass eine substanzlose Gesellschaft zu steuerlichen Zwecken eingesetzt wird, sind folgende steuerliche Konsequenzen geknüpft:
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- Der Ansässigkeitsstaat des betroffenen Unternehmens stellt keine Ansässigkeitsbescheinigung oder nur eine Ansässigkeitsbescheinigung mit Warnhinweis aus, sodass diese nicht zur Erlangung von Abkommensvorteilen eingesetzt werden kann. Das Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats wird hierdurch allerdings nicht eingeschränkt.
- Erlangte oder bestehende, aber nicht genutzte Steuervorteile werden aberkannt oder nicht gewährt (hierzu zählen insbesondere Abkommensvorteile, oder Quellensteuerbefreiungen nach der Mutter-Tochter-Richtlinie oder Zinsen- und Lizenzgebühren-Richtlinie)
- Zudem erfolgt eine Besteuerung des Einkommens der Shell Company auf Ebene ihrer Anteilseigner, wobei die von der Shell Company entrichtete Steuer in Abzug zu bringen ist. Sind die Anteilseigner nicht in einem EU-Mitgliedstaat steuerlich ansässig, so hat der Ansässigkeitsstaat des Zahlers, sofern es sich um einen EU-Mitgliedstaat handelt, Quellensteuer entsprechend seines nationalen Rechts einzubehalten.
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Die im Rahmen der oben angeführten Maßnahmen erhaltenen Informationen werden seitens der EU-Finanzverwaltungen untereinander über eine Datenbank ausgetauscht (automatischer Informationsaustausch).
Die Mitgliedstaaten sind zudem angehalten, effektive, verhältnismäßige und abschreckende Strafen vorzusehen, wobei diese eine Verwaltungsgeldstrafe in Höhe von mind. 5% des Erlöses der betroffenen Gesellschaft enthalten sollte.
Prüfung ausländischer Gesellschaften
Neben den oben angeführten neuen „Hürden“ für die Erlangung einer (uneingeschränkten) Ansässigkeitsbescheinigung wird nationalen Steuerverwaltungen durch den Richtlinienvorschlag weiters die Möglichkeit eingeräumt, ausländische Steuerverwaltungen um die Prüfung von im Ausland ansässigen Gesellschaften unter den Gesichtspunkten der Richtlinie zu ersuchen. Die ausländische Steuerverwaltung hat die Prüfung binnen eines Monats nach Einlangen des Ersuchens einzuleiten und deren Ergebnisse unverzüglich nach Abschluss der Prüfung (binnen eines Monats) an die ersuchende Steuerverwaltung zu kommunizieren.
Timeline/Handlungsbedarf
Nach erfolgter (einstimmiger) Annahme des Richtlinienänderungsvorschlags ist dieser bis 30. Juni 2023 in nationales Recht umzusetzen und ab 1. Jänner 2024 anwendbar.
Aufgrund des weit gefassten Anwendungsbereichs ist – sofern der Richtlinienvorschlag in seinen Grundzügen unverändert beschlossen wird – mit beträchtlichen Auswirkungen zu rechnen. Kann bei fehlender Substanz keine ausreichende wirtschaftliche Begründung für das Bestehen einer Gesellschaft („genuine business purpose“) erbracht werden, gelangt diese nicht länger in den Genuss diverser Steuerbegünstigungen. Vor diesem Hintergrund ist gerade international agierenden Konzernen die zeitnahe und detaillierte Analyse der geplanten Neuregelungen zu empfehlen um einschätzen zu können, ob sie über potenziell betroffene Gesellschaften/Einheiten verfügt und unter Umständen rechtzeitig entsprechende Optimierungsschritte (z.B. Ausbau Substanz) zu setzen. Gerne unterstützen wir Sie hierbei und halten Sie weiter hinsichtlich aktueller Entwicklungen auf dem Laufenden!
Autorin: Sophie Schönhart