„Brexit“ – mögliche ertragsteuerliche Auswirkungen
Am 29. März 2017 hat Großbritannien die EU formal über den Austritt aus der Staatengemeinschaft informiert und auf Grundlage von Art 50 der EU-Verträge den Austrittsantrag gestellt. Nach Einreichung des Austrittsantrages haben Großbritannien und die EU nun zwei Jahre Zeit, um die Bedingungen des Austritts auszuhandeln, wobei eine Fristverlängerung nur dann möglich ist, wenn alle übrigen 27 EU-Staaten und Großbritannien zustimmen.
Die tatsächlichen steuerlichen (und übrigen) Folgen hängen dabei von den noch auszuhandelnden Bedingungen des Austritts ab. Dennoch möchten wir diesen Schritt zum Anlass nehmen, einen kurzen Überblick über die möglichen ertragsteuerlichen Folgen des Austritts zu geben, sofern es zu keinen umfassenden Sonderregeln auf diesem Gebiet kommt (und Großbritannien daher in Zukunft wie andere Drittstaaten zu behandeln wäre):
Potentielle Änderungen bei Quellensteuern auf Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren
Zwischen verbundenen EU-Konzerngesellschaften gewährleistet die Mutter-Tochter Richtlinie bzw. die Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie den Entfall von Quellensteuern im Staat der auszahlenden Gesellschaft für Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren (d.h. Reduktion aller nationalen Quellensteuern auf null).
Nach dem Austritt wären diese Richtlinien im Verhältnis zu Großbritannien nicht mehr anwendbar, eine Entlastung könnte nur aufgrund des Doppelbesteuerungsabkommens erfolgen. Konkret ergeben sich dabei folgende potentielle Änderungen betreffend Zahlungen zwischen Gesellschaften in Österreich und Großbritannien:
- Bei Outbound-Dividenden (d.h. Zahlung von Österreich nach UK) greift die KESt Befreiung nach § 94 Z 2 EStG (österreichische Umsetzung der Mutter-Tochter Richtlinie) nicht mehr. Die Quellenbesteuerung von Dividenden nach Art 10 DBA Ö-UK iHv 5 % (bei Beteiligungen ab 25 %) bzw. 15 % (für alle anderen Beteiligungen) ist anwendbar. Aufgrund der Freistellung in Großbritannien bewirkt dies eine deutliche Erhöhung der Steuerkosten für Dividendenzahlungen an UK-Gesellschaften.
- Bei Inbound-Dividenden (d.h. Zahlung von UK an österreichische Unternehmen) erhebt Großbritannien nach nationalem Recht keine Quellensteuer. In Österreich ergibt sich für Portfoliodividenden und Schachtelbeteiligungen keine Steuerpflicht. Beide Befreiungen zielen nicht auf eine EU/EWR-Mitgliedschaft an, daher sollte es hier zu keiner Änderung der Steuerlast kommen.
- Für Outbound-Zinszahlungen ergeben sich durch den Austritt nur marginale Auswirkungen, da bei ausländischen Empfängern für Konzernzinsen idR ohnedies keine beschränkte Steuerpflicht in Österreich besteht. Bei Inbound-Zinszahlungen reduziert sich die UK-Quellensteuer auf Zinsen (grds 20 %) auf 0 %. Bei Zinszahlungen würde daher keine Änderung der Steuerlast eintreten.
- Für Outbound-Lizenzzahlungen zwischen verbundenen Unternehmen dürften sowohl Österreich als auch UK nach dem Austritt bei einer Beteiligung ab 50 % eine Quellensteuer iHv 10 % einbehalten (grundsätzlich anrechenbar im Empfängerstaat). Ob dies zu einer effektiven Erhöhung der Steuerlast führt, ist von den tatsächlichen Anrechnungsmöglichkeiten im konkreten Fall abhängig.
Umgründungen, Wegzug / Entstrickung und Gruppenbesteuerung
Auch sonst stellen zahlreiche ertragsteuerliche Regelungen auf den Status als EU/EWR-Staaten ab, weshalb sich durch den Austritt in folgenden Bereichen Änderungen ergeben könnten:
- Bestimmte Begünstigungen des UmgrStG greifen nur bei EU/EWR-Staaten. Bei einer umgründungsbedingten Entstrickung (d.h. Vorgänge, die zu einem Verlust des österreichischen Besteuerungsrechts führen) nach Großbritannien als Drittstaat wäre das Ratenzahlungskonzept nicht mehr anwendbar und stille Reserven somit sofort bei Wegzug aufzudecken und zu versteuern. Auch ein Anteilstausch (Einbringung von Kapitalanteilen in eine Kapitalgesellschaft eines anderen EU-Mitgliedstaates; gem Fusionsrichtlinie) wäre nicht mehr steuerneutral möglich.
- Die Begünstigung einer Ratenzahlung im betrieblichen Bereich wird auch nur bei Wegzug / Entstrickung in EU/EWR-Mitgliedstaaten gewährt. Nach dem Austritt wären stille Reserven sofort bei Wegzug aufzudecken und zu versteuern. Werden somit künftig Wirtschaftsgüter in eine Betriebsstätte in Großbritannien übertragen, kann keine Ratenzahlung für die Besteuerung der darin enthaltenen stillen Reserven beantragt werden.
- Für den Wegzug von natürlichen Personen nach Großbritannien als Drittstaat oder bei einer Schenkung / Erbschaft von Kapitalvermögen an UK-ansässige Personen wird zukünftig kein Besteuerungsaufschub mehr möglich sein (Nichtfestsetzungskonzept), da auch hier auf eine EU/EWR-Mitgliedschaft abgestellt wird.
- Noch offen ist, ob der Austritt Großbritanniens eine sofortige Nachversteuerung (bei Besteuerungsaufschub nach Nichtfestsetzungskonzept in der Vergangenheit) bzw Fälligstellung offener Raten auslöst.
- Keine Änderungen würden sich bei der Gruppenbesteuerung und der Berücksichtigung und Nachversteuerung von Verlusten ausländischer Betriebsstätten ergeben, da diese Regelungen lediglich auf das Bestehen umfassender Amtshilfe abstellen, die im Verhältnis zu Großbritannien auf Basis von Art 28 DBA Ö-UK auch nach dem Austritt gewährleistet ist.
Ausblick und Praxisauswirkungen
Die EU-Gesetzgebung bleibt bis zum endgültigen Austritt Großbritanniens weiterhin gültig.
Wie sich die Steuerpolitik Großbritanniens nach dem EU-Austritt gestalten wird, wird sich erst künftig zeigen. Denkbar sind hier gezielte steuerliche Vorteile für UK-Unternehmen im Sinne einer „aggressiveren“ (Steuer-)Standortpolitik Großbritanniens.
Der Ausgang der Austrittsverhandlungen und damit die zukünftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU sind schwer vorhersehbar. Dass Großbritannien im Wesentlichen wie andere Drittstaaten behandelt werden wird, ist ebenso möglich wie die Variante einer weiterhin starken Einbindung in das Regelungswerk der EU, eventuell sogar unter Fortgeltung einiger wichtiger Teile der EU-Gesetzgebung (vergleichbar zB mit dem Modell der Schweiz).