Kein Import ausländischer (finaler) Verluste durch Zuzug
In seinem am 29. März 2017 ergangenen Erkenntnis (Ro 2015/15/0004) stellt der VwGH klar, dass im Ausland erzielte Verluste, die vor Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht entstanden sind und die in keinem wirtschaftlichen Zusammenhang mit in Österreich erzielten Einkünften stehen, durch steuerlichen Zuzug nicht ins Inland importiert werden können.
Hintergrund
Bei der in den Jahren 2002/2003 ausschließlich in Deutschland tätigen deutschen S-GmbH kommt es 2004 zu einer Einstellung der betrieblichen Tätigkeit in Deutschland und zu einer Verlagerung der unbeschränkten Steuerpflicht nach Österreich („Zuzug“). Trotz der zu diesem Zeitpunkt stattfindenden Verlagerung der gesamten betrieblichen Tätigkeit nach Österreich wurde der satzungsmäßige Sitz in Deutschland bis 2011 beibehalten (Verschmelzung der S-GmbH mit einer österreichischen Gesellschaft). Den in den Jahren 2008 und 2009 eingebrachten Anträgen der S-GmbH, in den Jahren 2002 und 2003 in Deutschland entstandene Verluste in Österreich zum Abzug zuzulassen, wurde von Seiten des Finanzamts nicht entsprochen. Dieses stützte sich dabei auf § 21 Abs 1 Z 1 iVm § 8 Abs 4 KStG und führte aus, dass vor dem Zuzug im Ausland entstandene Verluste nicht für einen Verlustabzug in Betracht kämen.
Das BFG bestätigt in seinem Erkenntnis (RV/1100358/2012) die Ansicht des Finanzamts. Die seitens der Revisionswerberin vorgebrachten unionsrechtlichen Bedenken wurden vom BFG als unzutreffend abgelehnt. Die für eine Berücksichtigung der ausländischen Verluste erforderliche „Finalität“ der Verluste wurde abgelehnt.
Urteil des Verwaltungsgerichtshofes
Der gegen das BFG-Erkenntnis erhobenen Revision an den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) wurde nicht stattgegeben. Der VwGH sah in oben genannten Bestimmungen des Körperschaftsteuergesetzes keinen Verstoß gegen die unionsrechtlich gewährleistete Niederlassungsfreiheit. Aus dem EuGH Urteil vom 15. Mai 1997, C-250/95, Futura Participations SA und Singer ergibt sich, dass es nicht gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt, wenn ein Mitgliedsstaat den Verlustvortrag aus früheren Jahren bei einem Steuerpflichtigen, der in seinem Gebiet eine Zweigniederlassung, nicht aber einen Sitz hat, davon abhängig macht, dass die Verluste in wirtschaftlichem Zusammenhang mit Einkünften stehen, die der Steuerpflichtige in diesem Staat erzielt. Ein solcher sei bei den streitgegenständlichen Verlusten nicht gegeben, da diese in einer deutschen Betriebsstätte von einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft zu einem Zeitpunkt erzielt wurden, in dem Österreich keinerlei Besteuerungsrechte an diesen Einkünften zukam.
Da der VwGH in Fällen in denen Österreich kein Besteuerungsrecht an den ausländischen Einkünften zukommt, zudem die objektive Vergleichbarkeit der ausländischen Betriebsstätte mit einer inländischen Betriebsstätte verneint, kommt auch eine Berücksichtigung finaler Verluste in Österreich nicht in Betracht. Dadurch bringt der VwGH zum Ausdruck, dass die streitgegenständlichen deutschen Verluste selbst bei Nachweis ihrer Finalität nicht in Österreich berücksichtigt werden können.
Implikationen
Aus der Judikatur des EuGH wird abgeleitet, dass es im Zuge bestimmter Transaktionen zum grenzüberschreitenden Transfer von sog. „finalen Verlusten“ kommen kann (sog „Marks&Spencer-Doktrin“). Das Konzept der finalen Verluste ist aber – aufgrund uneinheitlicher Rechtsprechung des EuGH – bis dato höchst unklar und lässt viele Fragen offen. Im gegenständlichen Verfahren wurde die Existenz potentieller „finaler Verluste“ als unbeachtlich eingestuft und ein Import der Verluste bereits mangels Vergleichbarkeit (von Inlands- mit Auslandsbetriebsstätten) kategorisch verneint. Dieser Ansatz des VwGH scheint im Einklang mit dem 2015 ergangenen Urteil des EuGH in der Rechtssache Timac Agro (Rs.C-388/14) zu stehen. Da die EuGH-Rechtsprechung in diesem Themenbereich jedoch nicht einheitlich ist, wäre es wünschenswert gewesen, wenn der VwGH diesen Fall dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt hätte, um Rechtsklarheit zu erlangen. Da dies nicht passiert ist, bleibt offen, ob der EuGH im fraglichen Fall den Import (finaler) Verluste bestätigt oder ebenfalls abgelehnt hätte.
Autorin: Christiane Zöhrer