EuGH zur Einfuhrumsatzsteuerbefreiung im „Zollverfahren 42“ trotz Vorliegen von Steuerhinterziehung
Gemäß EuGH kann sich ein gutgläubiger indirekter Vertreter im Rahmen einer Einfuhr nach Österreich auf die Steuerbefreiung für die Einfuhrumsatzsteuer im „Zollverfahren 42“ (Art. 6 Abs 3 UStG) selbst dann berufen, wenn der Importeur im Rahmen von nachgelagerten Umsätzen Steuerhinterziehung begeht.
Sachverhalt
Vetsch Int. Transporte GmbH („Vetsch“), ein österreichisches Speditionsunternehmen, wurde von zwei bulgarischen Unternehmen beauftragt, als indirekter Vertreter Gegenstände aus der Schweiz in Österreich einzuführen und unter Anwendung des „Zollverfahrens 42“ die Gegenstände anschließend nach Bulgarien zu transportieren.
Vetsch nahm die Zollanmeldungen unter Angabe des Codes „Zollverfahren 42“ entsprechend vor, was zur Einfuhrumsatzsteuerbefreiung gemäß Art. 6 Abs 3 UStG führte. Die bulgarischen Unternehmen erklärten ordnungsgemäß in Österreich eine innergemeinschaftliche Verbringung und in Bulgarien den korrespondierenden innergemeinschaftlichen Erwerb.
In weiterer Folge verkauften die bulgarischen Unternehmen die Gegenstände lokal in Bulgarien weiter. Allerdings wurde keine bulgarische Umsatzsteuer deklariert und abgeführt, sondern eine steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung zurück an Vetsch gemeldet. Nachdem die bulgarische Steuerbehörde diese Steuerhinterziehung aufgedeckt hatte, kam das österreichische Zollamt zu dem Schluss, dass die Voraussetzungen zur Inanspruchnahme des „Zollverfahrens 42“ nicht vorliegen und die Steuerbefreiung der Einfuhrumsatzsteuer somit zu versagen ist. Aus diesem Grund wurde Vetsch als gesamtschuldnerisch haftender indirekter Vertreter vom Zollamt aufgefordert, die Einfuhrumsatzsteuer zu entrichten.
EuGH-Verfahren (Vetsch Int. Transporte, C-531/17, Urteil vom 14. Februar 2019)
(a) Vorlagefrage
Der österreichische VwGH legte dem EuGH die Frage vor, ob die Befreiung der Einfuhrumsatzsteuer im Rahmen des „Zollverfahrens 42“ zu versagen ist, wenn das anschließende innergemeinschaftliche Verbringen in den involvierten Mitgliedstaaten korrekt erklärt wurde, jedoch bei einem späteren steuerpflichtigen Umsatz (d.h. auf einer späteren Stufe in der Lieferkette) mit den betroffenen Gegenständen in einem anderen Mitgliedstaat eine Steuerhinterziehung begangen wurde.
(b) EuGH-Würdigung
Zunächst verweist der EuGH darauf, dass die Einfuhrumsatzsteuerbefreiung voraussetzt, dass im Anschluss eine steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung in einen anderen Mitgliedstaat bewirkt wird. Im vorliegenden Fall geht der EuGH davon aus, dass diese Voraussetzung erfüllt wurde.
Der EuGH führt weiter aus, dass die Einfuhr mit nachfolgender innergemeinschaftlicher Verbringung und die daraufhin in Bulgarien erklärte innergemeinschaftliche Lieferung, auf die sich die Steuerhinterziehung bezog, voneinander unabhängige Umsätze sind. Zudem sei erwiesen, dass die Steuerhinterziehung nicht die innergemeinschaftliche Verbringung betrifft.
Aufgrund dessen ist der EuGH der Ansicht, dass die Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer nicht zu versagen ist. Zum einen begingen die bulgarischen Empfänger erst bei einem späteren Umsatz, der mit der innergemeinschaftlichen Verbringung in keinem Zusammenhang steht, eine Steuerhinterziehung. Darüber hinaus gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass Vetsch wusste oder hätte wissen müssen, dass die bulgarischen Empfänger im Rahmen dieses späteren Umsatzes Steuerhinterziehung begehen würden.
Fazit
Mit diesem EuGH-Urteil kommt es wohl zu einem Paradigmenwechsel in der österreichischen VwGH-Rechtsprechung.
Bisher vertrat der VwGH die Ansicht, dass ein indirekter Vertreter im Rahmen der Gesamtschuldnerhaftung zur Zahlung der Einfuhrumsatzsteuer herangezogen werden kann, wenn der Importeur betrügerisch agiert. Auch ein Beziehen auf den Vertrauensschutz war in der Vergangenheit sowohl gegenüber der österreichischen Finanzverwaltung als auch vor dem VwGH erfolglos.
Durch Bezugnahme auf dieses EuGH-Urteil dürfte einem gutgläubigen indirekten Vertreter, der von einer Steuerhinterziehung durch den Importeur auf einer späteren Stufe in der Lieferkette nichts wusste bzw. hätte wissen müssen, die Steuerbefreiung der Einfuhrumsatzsteuer nicht mehr versagt werden.