EuGH zur Versagung des Vorsteuerabzuges bei Anwendbarkeit des Reverse Charge Systems
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat in der Rechtssache C-691/17 PORR entschieden, dass die Steuerverwaltung berechtigt ist, den Vorsteuerabzug aus einer mit Umsatzsteuer ausgestellten Rechnung zu verweigern, wenn die Rechnung eigentlich nach den Regelungen des Reverse Charge System ausgestellt hätte werden müssen. Allerdings kann der Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung der Steuer direkt an die Behörden stellen, wenn sich die Rückforderung der Steuer vom Aussteller der Rechnung unmöglich oder übermäßig schwierig gestaltet.
Sachverhalt
PORR hatte im Zusammenhang mit dem Bau einer Autobahn von Dienstleistungserbringern Rechnungen angenommen, die nach den allgemeinen Besteuerungsregelungen mit Umsatzsteuer ausgestellt wurden. Diese Rechnungen wurden von PORR bezahlt, die ausgewiesenen Vorsteuerbeträge abgezogen und folglich die Erstattung der Vorsteuerbeträge beantragt. Die Steuerverwaltung war jedoch der Auffassung, dass die betreffenden Transaktionen mit einer aus Bautätigkeiten bestehenden Haupttätigkeit im Zusammenhang stünden und demnach die nationalen Vorschriften über den Übergang der Steuerschuld anwendbar seien. Die Rechnung hätte demzufolge ohne Steuerausweis oder mit dem Hinweis auf den Übergang der Steuerschuld ausgestellt werden müssen. Es wurde auch festgehalten, dass kein Fall von Betrug oder Missbrauch vorliegt.
EuGH-Verfahren (C-691/17, PORR, Urteil vom 11. April 2019)
Vorlagefrage
Dem EuGH wurde somit die Frage vorgelegt, ob die Bestimmungen der Mehrwertsteuersystemrichtlinie dahingehend auszulegen sind, dass das Recht auf Vorsteuerabzug versagt werden kann, wenn die Rechnung über den Umsatz richtigerweise nach dem Reverse Charge Verfahren hätte ausgestellt werden müssen und wenn die Steuerbehörde vorab nicht geprüft hat, ob der Rechnungsausteller die Umsatzsteuer an die Steuerbehörde entrichtet hat, er in der Lage ist, dem Rechnungsempfänger die irrtümlich entrichtete Umsatzsteuer zu erstatten und die Rechnung zu berichtigen und ob ein Anspruch auf Erstattung der Umsatzsteuer direkt an die Behörden besteht.
EuGH-Würdigung
Zunächst weist der EuGH darauf hin, dass im Fall der Anwendung des Reverse Charge Verfahrens keine Umsatzsteuerzahlung vom Leistungsempfänger an den leistenden Unternehmer erfolgt. Der Empfänger hat für die getätigten Umsätze grundsätzlich Umsatzsteuer zu entrichten, kann diese aber wieder in Abzug bringen, so dass der Steuerverwaltung kein Betrag geschuldet wird.
Dazu führt der EuGH aus, dass die geschuldete Umsatzsteuer, deren Steuerabzug der Steuerpflichtige beantragt, nicht entrichtet wurde. Das stellt jedoch ein materiell rechtliches Erfordernis für die Regelung über die Verlagerung der Steuerschuld dar. Das wurde im vorliegendem Fall nicht beachtet. Andererseits wurde die tatsächlich entrichtete Umsatzsteuer in vorliegendem Fall nicht geschuldet. Folglich kann sich der Beklagte aufgrund der Missachtung eines materiellen Erfordernisses und aufgrund der Tatsache, dass die entrichtete Umsatzsteuer nicht geschuldet war, auch nicht auf ein Recht zum Abzug der Steuer berufen.
Der EuGH verweist ferner darauf, dass die Steuerbehörde nicht verpflichtet ist, vor der Ablehnung des Antrags auf Vorsteuerabzug zu prüfen, ob Rechnungen gegebenenfalls von den Ausstellern auf Grundlage einer nationalen Regelung berichtigt werden können oder ob ein Anspruch auf Erstattung der Steuer an die Behörden besteht.
Der EuGH macht aber in seiner Begründung klar, dass aufgrund der Neutralität der Mehrwertsteuer der Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung der Steuer direkt an die Behörden stellen kann, wenn sich die Rückforderung der Steuer vom Aussteller der Rechnung unmöglich oder übermäßig schwierig gestaltet (zB weil dieser in Insolvenz ist). Voraussetzung ist aber, dass die Steuer vom leistenden Unternehmer tatsächlich an die Behörden bezahlt wurde. Allerdings betreffe dies nicht die Frage des Vorsteuerabzuges, sondern wäre ein gesondertes Verfahren.
Auswirkungen auf Österreich
Damit bestätigt der EuGH die österreichische Rechtsansicht (vgl. zB UStR Rz 2602), dass aus Rechnungen mit gesondertem Steuerausweis, deren zugrundeliegende Leistung dem Reverse Charge System unterliegt, ein Vorsteuerabzug nicht möglich ist.