VwGH: Keine Erfassung eines rechnerischen Liquidationsgewinns beim Gruppenträger
Der VwGH entschied in einem aktuellen Erkenntnis (4. September 2019, Ro 2017/13/0009), dass im Fall der insolvenzbedingten Liquidation eines Gruppenmitglieds auch nicht getilgte Verbindlichkeiten im Abwicklungsendvermögen erfasst werden und damit das (zu versteuernde) Liquidationsergebnis verringern. Des Weiteren soll es dem VwGH zufolge zu keiner Zurechnung des Liquidationsergebnisses zum Gruppenträger kommen. Die Entscheidung widerspricht damit in weiten Teilen der in den Körperschaftsteuerrichtlinien kundgemachten Verwaltungsmeinung.
Sachverhalt
- Die B-GmbH war seit 2006 Gruppenmitglied einer Unternehmensgruppe.
- Im Jahr 2008 wurde über das Vermögen der B-GmbH der Konkurs eröffnet und im Jahr 2010 abgeschlossen.
- Im Liquidationsanfangsvermögen der B-GmbH befanden sich auch Verbindlichkeiten, die im Zuge der Abwicklung nicht getilgt wurden.
- Im Verfahren setzte das Finanzamt die nicht getilgten Verbindlichkeiten nicht im Liquidationsendvermögen an. Demzufolge erhöhte sich das festgesetzte – und dem Gruppenträger zugerechnete – Liquidationsergebnis 2010 um die Höhe der nicht getilgten Verbindlichkeiten. Diese Vorgehensweise entsprach der in den KStR dargelegten Interpretation der Finanzverwaltung.
Entscheidung des VwGH
Mit seinem Erkenntnis behandelt der VwGH zwei wesentliche Aspekte:
Aspekt 1: Ansatz von nicht getilgten Schulden im Abwicklungsendvermögen
- Zweck der Liquidationsgewinnermittlung (Abwicklungsendvermögen im Vergleich zum Abwicklungsanfangsvermögen) ist dem VwGH zufolge die Sicherstellung der finalen Besteuerung der im Betriebsvermögen vorhandenen stillen Reserven („Steuerentstrickung“).
- Für eine darüber hinausgehende Besteuerung einer – bei der zu liquidierenden Gesellschaft nicht eingetretenen – Vermögensvermehrung (Nichtbegleichung von Schulden) soll kein Raum verbleiben.
- Dabei soll es auch keine Rolle spielen, ob die Schulden am Ende der Abwicklung tatsächlich verteilt werden oder nicht.
- Im Ergebnis sind sohin (im Zuge der Abwicklung nicht getilgte) Verbindlichkeiten nicht nur im Abwicklungsanfangs-, sondern auch im Abwicklungsendvermögen anzusetzen. Ein rechnerischer Liquidationsgewinn kann sich demnach nicht dadurch ergeben, dass Verbindlichkeiten im Zuge der Abwicklung nicht getilgt werden.
Aspekt 2: Keine Zurechnung des Liquidationsergebnisses an den Gruppenträger
- Zur Zurechnung eines allfälligen Liquidationsgewinnes eines Gruppenmitgliedes beim Gruppenträger führte der VwGH aus, dass die Gruppenbesteuerung grundsätzlich dem Ausgleich der Gewinne und Verluste werbender Gesellschaften dient.
- Die Verrechnung von Abwicklungsergebnissen mit operativen Ergebnissen entspricht dem VwGH zufolge diesem Zweck jedoch nicht.
- Darüber hinaus soll der erweiterte Abwicklungszeitraum nicht mit dem System der Gruppenbesteuerung kompatibel sein.
- Im Ergebnis ist dem VwGH zufolge somit das Abwicklungsergebnis des Gruppenmitgliedes nicht dem Gruppenträger zuzurechnen.
Fazit und Implikationen für die Praxis
Der VwGH widerspricht in beiden Facetten der Entscheidung der Ansicht der Finanzverwaltung.
Nach dieser VwGH Entscheidung sind nicht getilgte Verbindlichkeiten zukünftig im Abwicklungsendvermögen anzusetzen und erhöhen somit den Liquidationsgewinn nicht. Dies steht in Widerspruch zur Verwaltungspraxis (KStR Rz 1442a), demzufolge ausschließlich das zur Verteilung gelangende Vermögen als Abwicklungsendvermögen qualifiziert wird und somit nicht getilgte Verbindlichkeiten nicht im Abwicklungsendvermögen anzusetzen sind. Dadurch würde sich das Abwicklungsergebnis erhöhen. Diese Ansicht wird in Zukunft nicht aufrecht gehalten werden können.
Weiters soll künftig – ebenfalls entgegen der Verwaltungspraxis – keine Zurechnung des Abwicklungsergebnisses des Gruppenmitglieds zum Gruppenträger stattfinden. Auch wenn dies der VwGH in seiner Entscheidung nicht ausgesprochen hat, müsste dies auch dazu führen, dass das Gruppenmitglied bereits mit Beginn des Liquidationszeitraums aus der Gruppe ausscheidet. Dies steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des VwGH zur Liquidation eines Gruppenträgers. Dabei kommt es bereits mit Liquidationseröffnung zur Auflösung der Unternehmensgruppe. Im Ergebnis wird eine Verrechnung des Liquidationsgewinns des Gruppenmitgliedes mit Verlusten bzw Verlustvorträgen auf Ebene des Gruppenträgers nicht mehr möglich sein.
Die nun durch den VwGH geänderte Sichtweise – dies betrifft beide Aspekte – können signifikante Auswirkungen auf die Besteuerung und Abwicklung auch von bereits begonnenen oder abgeschlossenen Liquidationen haben.