Neue VwGH-Rechtsprechung zum abkommensrechtlichen Betriebsstättenbegriff
Jüngst erschien ein neuer Beschluss des VwGH (22.6.2022, Ro 2020/13/0004) zum abkommensrechtlichen Begriff der festen Einrichtung. Für das Vorliegen einer festen Einrichtung ist die Verfügungsmacht über eine solche entscheidend.
Als steuerlicher Anknüpfungspunkt in Österreich ist für den Bestand einer Betriebsstätte entscheidend, dass ein ausländisches Unternehmen die Verfügungsmacht über eine feste Einrichtung in Österreich hat und es seine Geschäftstätigkeit in dieser Einrichtung dauerhaft ausübt. Nach ständiger Rechtsprechung ist das Konzept der festen Einrichtung iSd Art 14 OECD-MA inhaltsgleich mit dem Betriebsstättenbegriff des Art 5 OECD-MA und muss auch einheitlich ausgelegt werden.
In Österreich besteht kaum Rechtsprechung zur Reichweite des Betriebsstättenbegriffs. Insbesondere deswegen sind die Aussagen des VwGH zu begrüßen und sind für zwei Fallgruppen von besonderer Bedeutung:
- Eine feste Geschäftseinrichtung kann auch durch das Tätigwerden bei einem Kunden begründet werden, wenn über Geschäftsräumlichkeiten des Kunden Verfügungsmacht erlangt wird.
- Außerdem können Mitarbeiter ihrem Arbeitgeber die faktische Verfügungsmacht über das Homeoffice vermitteln, wodurch ein Unternehmen auch eine Betriebsstätte in den privaten Räumlichkeiten eines Mitarbeiters begründen kann.
Aktuelle Rechtsprechung des VwGH
Im zugrunde liegenden Sachverhalt erbrachte eine in Ungarn ansässige Dolmetscherin Sprachdienstleistungen in Österreich. Dabei nützte sie fallweise „gratis“ einen Arbeitsplatz und die Büroinfrastruktur bei einem ihrer österreichischen Auftraggeber. In seinem Beschluss hat der VwGH eine österreichische Betriebsstätte der Dolmetscherin verneint. Zur Verfügungsmacht – als wesentliches Kriterium einer Betriebsstätte – hält der VwGH fest, dass die Möglichkeit der Mitbenutzung eines Schreibtisches in Büroräumlichkeiten eines anderen Steuerpflichtigen nicht ausreicht, um die Verfügungsmacht über die feste Geschäftseinrichtung zu bejahen.
Auf den ersten Blick verleitet die Aussage des VwGH zu meinen, dass per se keine Betriebsstätte in den Räumlichkeiten eines anderen Steuerpflichtigen begründet werden kann. Unseres Erachtens ist diesbezüglich aber Vorsicht geboten, denn die bloße „Möglichkeit“ der Mitbenutzung war nach der Verwaltungspraxis auch bisher nicht betriebsstättenbegründend.
Auswirkungen
- Inwiefern die jüngste VwGH-Rechtsprechung das Risiko einer österreichischen Betriebsstätte bei grenzüberschreitenden Mitarbeitereinsätzen im Konzern oder beim Kunden vor Ort, bei denen den ausländischen Mitarbeitern ein Arbeitsplatz bei der österreichischen Konzerngesellschaft oder beim österreichischen Kunden zur Verfügung gestellt wird, tatsächlich entschärft, hängt stark von der Ausgestaltung im Einzelfall ab.
- Das Risiko einer österreichischen Homeoffice-Betriebsstätte ist – da der VwGH die Thematik eines Homeoffices nicht adressiert hat – aus unserer Sicht weiterhin gegeben. Daher sind mögliche steuerliche Auswirkungen jeglicher Homeoffice-Tätigkeiten in einem anderen Staat – wie bereits bisher – im Detail zu überprüfen.
Aufgrund der Dynamik im internationalen Steuerrecht und der Auslegung der Betriebsstätte in den österreichischen Verrechnungspreisrichtlinien sind grenzüberschreitende Unternehmenstätigkeiten sowie Tätigkeiten im österreichischen Homeoffice von Mitarbeitern ausländischer Unternehmen nach wie vor nicht vor einer allfälligen inländischen Betriebsstätte gefeit.