BFG Wien: Abzugsverbot für niedrigbesteuerte konzerninterne Zins- und Lizenzzahlungen unionsrechtswidrig
Am 7. März 2025 hat das BFG Wien in zwei Beschwerdesachen (RV/7103283/2023 und RV/7102685/2022) zu Recht erkannt, dass das Abzugsverbot für niedrigbesteuerte konzerninterne Zins- und Lizenzzahlungen (§ 12 Abs 1 Z 10 KStG) gegen die EU-Niederlassungsfreiheit verstößt. Gegen das Urteil ist eine ordentliche Revision an den VwGH zulässig.
Sachverhalt
- Eine österreichische GmbH leistete in den Jahren 2014 – 2020 Zinszahlungen in Höhe von insgesamt rd. EUR 13,5 Mio. an ihre 100%-Gesellschafterin, eine liechtensteinische intransparente Privatstiftung.
- Die effektive Steuerbelastung der liechtensteinischen Privatstiftung lag aufgrund einer fiktiven Eigenkapital-Verzinsung in allen betroffenen Jahren unter 10%, weshalb das Finanzamt den Zinsabzug aufgrund von § 12 Abs 1 Z 10 KStG versagte. In einem einzelnen Jahr erzielte die liechtensteinische Privatstiftung einen steuerlichen Verlust, weshalb die fiktive Eigenkapital-Verzinsung in diesem Jahr nicht zur Anwendung kam.
Kernaussagen des BFGs
- Die unionsrechtlich gewährten Grundfreiheiten gelten analog auch gegenüber EWR-Mitgliedstaaten (d.h. auch ggü Liechtenstein).
- Das Abzugsverbot des § 12 Abs 1 Z 10 KStG ist vor dem Hintergrund der Niederlassungsfreiheit zu prüfen. Aufgrund des Zwecks der Bestimmung des § 12 Abs 1 Z 10 KStG („vorteilhafte Steuergestaltungen von Konzerngesellschaften zu verhindern“) ist die Kapitalverkehrsfreiheit nicht anwendbar.
- Das Anknüpfen des Abzugsverbots an eine Niedrigbesteuerung beim Empfänger führt zu einer versteckten bzw. indirekten Diskriminierung ausländischer EU-Sachverhalte. Im Inlandsfall kommt das Abzugsverbot nur in Ausnahmefällen zur Anwendung (siehe z.B. Steuerbefreiungen des § 5 KStG), die mit Zins- und Lizenzzahlungen an gewinnorientierte ausländische Gesellschaften nicht vergleichbar sind.
- Eine Rechtfertigung dieser verdeckten Diskriminierung ist nach Ansicht des BFG nicht möglich. Das BFG hat folgende Rechtfertigungsgründe umfassend geprüft und abgelehnt:
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- die Verhinderung der Steuerumgehung und -hinterziehung,
- die Ausgewogenheit der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten,
- die Kohärenz des Steuersystems sowie
- eine Rechtfertigung aufgrund des Verweises auf aktuelle internationale Entwicklungen (BEPS-Aktionsplan der OECD, Empfehlungen der Code of Conduct-Gruppe der EU)
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- Aufgrund der in der jüngeren Vergangenheit ergangenen EuGH-Entscheidungen in der Rs Lexel AB (C-484/19) und X BV (C-585/22) war nach Ansicht des BFGs die Rechtsfrage zur Unionsrechtswidrigkeit des § 12 Abs 1 Z 10 KStG bereits so weit geklärt, dass von einem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH abgesehen werden konnte.
- Das Abzugsverbot des § 12 Abs 1 Z 10 KStG verstößt daher nach Ansicht des BFG in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung gegen die Niederlassungsfreiheit. Nach der Methode der „geltungserhaltenden Reduktion“ ist das Abzugsverbot auf Fälle des Missbrauchs und Fälle, in denen ein fremdunüblich hoher Zinssatz zur Anwendung gelangt, einzuschränken (Korrektur fremdunüblicher Anteil).
- Da das BFG im vorliegenden Sachverhalt keine Anhaltspunkte für einen Missbrauch iSd § 22 BAO feststellen konnte und der Darlehenszinssatz fremdüblich ausgestaltet war, war der Beschwerde der österreichischen GmbH vollinhaltlich stattzugeben.
Exkurs
Das BFG hat neben der unionsrechtlichen Beurteilung auch interessante Ausführungen zur rein innerstaatlichen Auslegung des § 12 Abs 1 Z 10 KStG getätigt, welche insbesondere auch für Nicht-EU Sachverhalte von Relevanz sind:
- Die liechtensteinische fiktive Eigenkapital-Verzinsung gilt nach Ansicht des BFGs erst seit dem Inkrafttreten des AbgÄG 2014 als iSd § 12 Abs 1 Z 10 KStG schädliche Steuerbegünstigung, weshalb das Abzugsverbot im Jahr 2014 im vorliegenden Fall auch nach rein innerstaatlichem Recht nicht anwendbar war.
- Bei Vorliegen von Verlusten auf Ebene des Einkünfteempfängers, welche nicht auf eine schädliche Steuerbegünstigung zurückzuführen sind, kommt das Abzugsverbot nicht zur Anwendung. Der Ansicht des Finanzamts, wonach das Abzugsverbot beim Vorliegen von steuerlichen Verlusten des Empfängers nur in jenen Fällen nicht greift, in denen die betreffenden Einkünfte auch ohne Verlustsituation nicht niedrigbesteuert wären, wurde vom BFG nach dem Wortlaut des Gesetzes eine Absage erteilt. Eine aufgrund der Verlustsituation lediglich hypothetisch anwendbare Steuerermäßigung ist somit unbeachtlich.
Implikationen und Ausblick
- Nach Ansicht des BFGs darf das Abzugsverbot des § 12 Abs 1 Z 10 KStG in EU- sowie EWR-Sachverhalten nur mehr in folgenden Konstellationen zur Anwendung kommen:
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- Vorliegen von Missbrauch iSd § 22 BAO: gänzliche Verweigerung des Zinsabzugs zulässig
- Fremdunüblich (hoher) Zinssatz: Verweigerung des Zinsabzugs lediglich in Höhe der Differenz zwischen dem fremdüblichen und fremdunüblich hohen Teil des Zinsaufwands zulässig
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- Mit einer Amtsrevision seitens des Finanzamts für Großbetriebe ist zu rechnen.
- Bis zu einer endgültigen Entscheidung durch die Höchstgerichte (VwGH, eventuell auch EuGH) ist Klienten mit konzerninternen Zins- oder Lizenzzahlungen an niedrigbesteuerte EU/EWR-Gesellschaften zu empfehlen – sofern keine offensichtlichen Gründe vorliegen, eine missbräuchliche Struktur anzunehmen – das Abzugsverbot des § 12 Abs 1 Z 10 KStG in direkter Anwendung der Niederlassungsfreiheit unangewendet zu lassen und die steuerliche Behandlung im Rahmen der Abgabe der Steuererklärung offen zu legen. Selbiges gilt für die Nichtanwendung des Abzugsverbotes auf aktuell (wieder) offene Veranlagungsperioden (z.B. im Rahmen von Betriebsprüfungen) sowie die Einforderung der Nichtanwendbarkeit für bereits veranlagte Perioden innerhalb der Jahresfrist (über § 299 BAO).
- Abseits der Prüfung möglicher Missbrauchselemente empfehlen wir – falls Zinsen- und Lizenzen unter Bezugnahme auf die obige Judikatur als abzugsfähig behandelt werden sollen – auch die Fremdüblichkeit der Zahlungen zu hinterfragen und zu dokumentieren (falls nicht bereits passiert).
Unsere Experten stehen Ihnen in diesem Zusammenhang gerne beratend zur Verfügung.
Verfasst von: Nikolaus Neubauer, Sophie Schoenhart